Experimentell oder traditionell? Dem Dirndl-Wahnsinn auf der Spur
12.8.2019, 18:31 UhrDas Dirndl ist groß in Mode, wie jede und jeder sehen kann, der auf Volksfesten und Stadtteil-Kärwas unterwegs ist. Alle Formen, alle Farben sind unterwegs – das Aldi-Dirndl ebenso wie maßgeschneiderte Modelle. Ein Stück Heimat eben. Oder ist es doch nur eine ländlich anmutende Verkleidung? Vier Expertinnen nehmen Stellung.
Ansatzpunkt für Diskussionen
Zum Abschluss etwas Besonderes! Die Absolventinnen der Modeschule Nürnberg haben sich – außer dem in der Prüfung geforderten Jackett – alle noch ein Dirndl geschneidert. Weil es so schön ausschaut und gerade "in" ist. Mit Tracht an sich, fürchtet Schulleiterin Barbara Denker, haben die jungen Frauen wenig am Hut, denn Tracht ist eine "stehen gebliebene" Mode, die sich auf ihre jeweilige Region bezieht und als Symbolsprache fungiert.
Verschiedene Farben oder die Art der Kopfbedeckung etwa informieren die Gemeinschaft darüber, ob eine Frau ledig oder verheiratet oder schon Witwe ist. Bei der Schwälmer Tracht aus Hessen zum Beispiel kam mit jedem Kind zu den vielen übereinander getragenen Röcken ein weiterer hinzu. Natürlich demonstrierten Stoffe, Bordüren und Gold- und Silberfäden auch den Status der Trägerin: "Schaut, was ich habe!"
Schaut, was ich kann – so müsste es bei maßgeschneiderten und handgenähten Dirndls heißen. Etwa eine Woche, schätzt Barbara Denker, dauert die Fertigstellung. Das Mieder muss "supergenau" genäht werden und anders als Baumwolle verzeiht Seide keinen falschen Stich, dazu kommen selbst gemachte Besätze und Borten oder die gesmokten Schürzen. "Alles in Handarbeit, das ist fast schon meditativ", findet Barbara Denker.
Von den Dirndln, die im Aktionspreis 30 Euro kosten, hält sie wenig. "Das ist fastest Fashion." Die schnellen Kleider mit Klettverschluss halten oft gerade einen Abend, werden zum Großteil in China produziert, die Stoffe sind schnell entflammbar. "In unseren Klassen ist das ein schöner Ansatzpunkt für Diskussionen über Modetrends und Konsum."
"Immer gut angezogen"
Schnell muss es gelegentlich sogar bei Wirkes gehen. Im Trachtenfachgeschäft am Richard-Wagner-Platz ziehen sich die Kundinnen oft noch im Laden um, bevor sie mit dem Zug zur Bergkirchweih, zum Oktoberfest oder zum Gäubodenfest in Straubing fahren. Filialleiterin Helga Bachmeier, die seit 25 Jahren im Nürnberger Geschäft und überall als die "Dirndl-Frau" bekannt ist, lebt die Tradition. Sie ist aber durchaus aufgeschlossen: Ein Dirndl mit Spitze, warum nicht? Oder eines mit großem Ausschnitt, mit kurzem Rock oder gleich als Abendkleid gestylt – alles könne gut aussehen. "Es muss einem gefallen."
Gerade ist das Vintage-Dirndl, hochgeschlossen mit Halbarmbluse, der Renner. "Mit einem Dirndl ist man immer gut angezogen", sagt Helga Bachmeier. Ob beim Volksfest, zur Geburtstagsfeier, an Weihnachten oder Silvester. Das muss sich bis Berlin und Hamburg herumgesprochen haben. Denn von dort kommt Kundschaft eigens angereist, um sich mit Trachtenmode einzudecken. Die Männer staffieren sich mit Janker, Lederhosen oder den kurzen Plattlerhosen und Kniestrümpfen aus.
Die Tracht ist ein Signal
Prinzipiell findet Katrin Weber das schon mal gut. Denn, sagt die Leiterin der Trachtenforschungs- und -beratungsstelle des Bezirks Mittelfranken, Tracht ist "ein Signal, dass jemand dazugehören will und sich mit seiner Heimat identifiziert". Dass mit dem Dirndl auch in Franken ausgerechnet eine ober- und niederbayerische Variante bevorzugt wird, ist für Weber allerdings ein schöner Grund, um einzuhaken: Ah, und wo kommst du her?
Dabei gibt es "die" fränkische Tracht ja gar nicht. Sondern in den Regionen verschiedene Spielarten. In protestantischen Landstrichen tragen die Frauen eher Schwarz und gedeckte Farben, die Formen sind schlichter und auf dem Kopf eine Haube, während die Katholikinnen traditionell Hüte und Riegerl aufsetzen und in farbenfrohe Kleider schlüpfen.
Inzwischen hat sogar der Laufsteg die Tracht entdeckt, das Modehaus Dior etwa entwarf vor Jahren eine Trachtenkollektion. Mit den Merkmalen spielt die Mode immer wieder und gerade sind glänzende Schürzen der letzte Schrei. Katrin Weber sieht’s mit gemischten Gefühlen. Denn als Ethno-Mode entfernt sich die Tracht von ihrem Ursprung, andererseits kann das schnell für die Kärwa gekaufte Dirndl der Einstieg sein in eine Trachtenkarriere.
Wer tatsächlich eine heimische Tracht bevorzugt, wird "von der Stange" nichts finden. Aber die Trachtenberatungsstelle unterstützt gern: Soll das gute Stück historisch nachgearbeitet, historisch inspiriert oder lieber ganz was Modernes sein? Welche Form soll der Ausschnitt haben und wie lang der Rock sein, welche Verzierungen sind gewünscht? Mit einer Idee und eventuell einem Schnittmuster geht’s dann zum Schneider der Wahl. Ab 300 Euro müsste ein solches Dirndl zu haben sein, schätzt die Trachtenbeauftragte, "nach oben ist die Skala offen".
Einen unschlagbaren Vorteil aber hätten alle handgemachten Dirndl: Dank Nahtzugabe wachsen sie mit. Mindestens eine Größe. Oder mehr: Im Fundus der Trachtenforschungsstelle findet sich das Mieder einer Brauersgattin aus dem 19. Jahrhundert, die es wohl schon als junge, schlanke Frau bekommen hatte. Mit den Jahren stiegen Wohlstand und Leibesumfang, das Mieder wurde Stück um Stück erweitert – bis auf Größe 52.
Landhausstil ist gefragt
Was richtig gut sitzt, "ist manchmal weiter, als die Kunden sich das vorstellen", erklärt Elke Müller, Filialleiterin bei Dolzer Maßkonfektionäre an der Fleischbrücke. Denn ein Sakko soll locker fallen, ein Kleid bequem sitzen. "Ein Dirndl steht jeder Frau", sagt die Expertin. Denn es kaschiert starke Hüften, macht aus einem kleinen Busen ein präsentables Dekolleté und gibt einer großen Brust Form und Halt. "Natürlich, man kann die Physik nicht außer Kraft setzen – aber einiges kriegen wir hin."
Dem Trend folgend sind im vergangenen Jahr ein Kleid mit aufspringenden Falten und eine Cordhose im Lederhosenstil in die Kollektion aufgenommen worden. Richtige Dirndl und echte Hos’n werden bei der Kette, die 19 Filialen in Deutschland hat, gar nicht nachgefragt. Beliebter bei den Kunden ist der Landhausstil, der Elemente der Tracht aufgreift. Im Schnitt, mit Details. "Die Futterseide mit springenden Hirschen ist im Norden Deutschlands der Renner", berichtet Elke Müller.
Für viele Kunden sei das Tracht genug. Andere dagegen brezeln sich mit Vorliebe auf. Eine Mitarbeiterin etwa reite auf der Trachten-Welle und style sich (und ihren Mann!) für Volksfeste richtig durch. "Das gehört zum Event dazu."
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