Fehlalarme und Herzschmerzen: Eine Nacht in der Leitstelle
23.10.2018, 05:38 UhrJemand hat Rauch aus einem Anwesen in Erlangen steigen sehen und die 112 gewählt. Der Einsatzauftrag geht raus, ein erster Feuerwehrtrupp rückt aus. Leitstellen-Chef Marc Gistrichovsky nimmt Platz, guckt auf einen der fünf Monitore vor ihm, Daten vom Einwohnermeldeamt erscheinen auf einem Schirm: 17 Personen sind in diesem Haus gemeldet. "Fehlalarm", heißt es wenig später. Der Mitteiler hat sich offenbar geirrt. Die Einsatzkräfte da draußen rücken wieder ein.
Fehlalarme gibt es immer wieder, reagieren muss die Feuerwehr trotzdem. Es könnte ja ernst sein. Die ILS ist die Schaltstelle. Was für die Deutsche Bahn das Stellwerk und für die Polizei die Einsatzzentrale ist, ist für Rettungs- und Feuerwehrkräfte, ob zu Boden oder in der Luft, die ILS. Drei Städte (Nürnberg, Fürth, Erlangen) und drei Landkreise (Nürnberger Land, Fürth, Er langen-Höchstadt) deckt sie ab. Die Disponenten sehen, welche Rettungsfahrzeuge besetzt sind, sie sehen, welche sich gerade in Kliniken aufhalten, ohne Patient auf der Straße unterwegs sind und welche auf der Wache stehen.
Es ist 19.08 Uhr. Sieben von 14 Rettungswagen sind frei verfügbar. Kommt was rein, "geben wir einem einen Arbeitsauftrag", sagt Gistrichovsky. Die Leitstelle hat Zugriff auf Luftbilder und kann so vorab in Augenschein nehmen, wie die bauliche Situation am Einsatzort ist. Die Infos gibt sie an die Einsatzkräfte weiter.
Ein Notruf kommt rein, ein Disponent nimmt ihn an. Ein Mann liegt regungslos auf einer Straße in der Nürnberger Südstadt. Der Leitstellen-Mitarbeiter versucht am Telefon herauszufinden, ob es dort jemanden gibt, der beim Hilfsbedürftigen ist. "Es wäre jetzt wichtig herauszufinden, ob der Patient noch schnauft", sagt er zur aufgebrachten Mitteilerin. Zeitgleich geht der Einsatzauftrag an einen Rettungswagen raus. "Es muss jemand zum Patienten gehen. Aha. Da ist schon einer. Derjenige soll den Bewusstlosen mal rütteln", bestimmt der Disponent und hört, was sich am anderen Ende der Leitung tut. "Alles klar, hab verstanden - der Patient runzelt die Stirn. Bitte legen Sie ihn in die stabile Seitenlage. Hilfe ist unterwegs. Bleiben Sie bitte beim Patienten und machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie den Rettungsdienst sehen." Die Situation in der ILS entspannt sich, die regungslose Person ist offenbar betrunken.
Die Einsatzzahlen steigen spürbar, sagt ILS-Chef Gistrichovsky. Seit 2012 ist das Aufkommen um 22 Prozent nach oben gegangen. Ende 2017 legte das Münchner Institut für Notfallmedizin der Stadt ein Gutachten vor. Die Sachverständigen attestierten für Nürnberg einen "dringenden Handlungsbedarf". "In diesem Jahr haben wir deshalb vier weitere Rettungswagen im Stadtgebiet dazubekommen." Auch im Team der Disponenten wurde Personal aufgestockt. Woran aber liegt es, dass die Einsatzahlen stetig steigen?
Mit ein Grund sei die steigende Einwohnerzahl in Nürnberg, sagt er. Hinzu komme auch der hinlänglich bekannte demografische Wandel (alternde Gesellschaft). "Bei vielen ist aber auch die Schwelle gesunken, den Notarzt zu rufen oder in die Notaufnahme zu gehen." Menschen setzen Notrufe bei Leiden ab, die auch der Hausarzt oder der ärztliche Bereitschaftsdienst behandeln könnte.
Die Einsatzspitzen liegen zwischen 18 und 20 Uhr
Dann taucht eine Meldung der Polizei auf: Eine Streife hat am Hauptbahnhof einen Mann am U-Bahn-Abgang aufgefunden. "Er hat einen Krampf und klagt über Herzschmerzen", heißt es in der schriftlichen Meldung. Ein Rettungsdienst rückt dorthin aus. Sekunden später geht es um eine Sportverletzung in einer Schulturnhalle, dann um ein erkranktes Kind im Stadtteil St. Leonhard.
Die Einsatzspitzen im Verlauf eines Tages liegen zwischen 18 und 20 Uhr und zwischen 10 und 12 Uhr. Am Vormittag sind es besonders Arbeitsunfälle und witterungsbedingt auch Stürze auf Gehwegen. Ab 2 Uhr früh wird es ruhiger in der Leitstelle. Erst ab 4 Uhr zieht es allmählich wieder an. "Ab 4 Uhr kommen Notrufe vor allem wegen Herzinfarkten rein", erklärt Gistrichovsky. Warum? "Es sind meist ältere Menschen mit Vorerkrankungen, die, wenn sie aus dem Bett steigen und ihr Kreislauf in Schwung kommt, einen Herzinfarkt erleiden. Das ist statistisch belegt."
Disponent Christian Leithner guckt mit seinem Chef auf einen der Monitore an seinem Arbeitsplatz. Zu sehen ist der Karten-Ausschnitt auf einem Nürnberger Stadtplan, das Gebiet rund um den Hauptbahnhof. Der ILS-Chef deutet auf einen dunkelblau gefärbten Bereich: "Hier hat jemand einen Notruf abgesetzt. Sein Handy hat sich in eine der Funkzellen in der Nähe eingewählt. Wir sehen also grob, wo sich der Mitteiler gerade aufhält."
Das sei eine entscheidende Hilfe für Rettungskräfte, um etwa einen Bewusstlosen, der den Notruf noch rechtzeitig absetzen konnte, zu finden. "Besser wäre es natürlich, wir könnten den Standort genauer bestimmen und müssten nicht in einem Gebiet von zwei oder drei Quadratkilometer zu suchen an fangen." So groß könne nämlich das Areal sein, das durch die Funkzelle sichtbar werde. Doch bald soll der Standort exakt erkennbar sein, die Notrufverordnung und das Telekommunikationsgesetz seien schon angepasst worden.
Das Personal wird knapp. Um 21.48 Uhr sind auch alle vier Nürnberger Notärzte im Einsatz. Die Leitstelle muss über die Stadtgrenze gehen und einen Notfallmediziner aus Fürth an fordern. Kurz darauf meldet sich die Besatzung eines Rettungswagens, die den alkoholisierten Mann aus der Südstadt im Auto hat. Wohin mit dem Patienten? Leithner fragt nach. "Habt ihr Platz für einen friedlichen, betrunkenen jungen Mann?", wirbt er am Telefon in der Klinik Dr. Steger. Doch die ist voll besetzt. "Wir nehmen ihn", funkt eine Stimme dazwischen. Jetzt steht das Ziel fest. Der Rettungswagen steuert die Klinik Hallerwiese an.
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