Fit ohne Jo-Jo-Effekt
9.3.2015, 19:41 UhrIn gut sechs Wochen fahre ich in den Urlaub. Schön am Strand liegen und die Sonne auf den flach trainierten Bauch scheinen lassen – das war mein Plan. Davor „einen Tag mit einer Personal-Trainerin“ verbringen, die mir Tipps gibt, wie ich am schnellsten in Bikiniform komme. Pustekuchen.
„Sicher kannst du in der Zeit ein paar Kilo abnehmen, aber sobald du dann im Urlaub bist, hast du das wieder draufgefuttert. Das möchte ich nicht“, sagt die 45-Jährige. Seit über acht Jahren ist sie selbstständig im sportlichen Geschäft. Wenn man sie sich in ihrem schwarzen Sporttop und den eng anliegenden Laufhosen so anguckt, kann man kaum glauben, dass diese Frau nicht immer so wohlgeformt war.
„Als gelernte Grafikerin bin ich schon früh in eine Werbeagentur eingestiegen. Die Arbeitszeiten waren lang, das Essen hastig, dafür hatte ich die Zigarette immer in der Hand“, erzählt Hertlein. In ihrem 30. Lebensjahr dann der berühmte Tag X. „Ich blickte in den Spiegel und war nicht mehr glücklich. Mit 85 Kilogramm fühlte ich mich extrem unfit.“
Also wechselte sie zu einem etwas ruhigeren Job im Marketing und gab das Rauchen auf, von einem Tag auf den nächsten. Die Angst, ohne Kippchen zuzunehmen, trieb sie zum Joggen. „Auf dem ersten Kilometer machte ich unzählige Pausen“, sagt sie heute. Doch 15 abtrainierte Kilogramm und ein Jahr später begann sie neben dem Bürojob ein Fernstudium zur Ernährungsberaterin, machte verschiedene Trainerausbildungen für beispielsweise Fitness und Pilates, besuchte Workshops und medizinische Fachvorträge.
Mittlerweile ist ihr Kundenkreis bunt gemischt. Zwischen Ende 20 bis Anfang 70 sind alle Altersgruppen vertreten, Männer und Frauen jeweils zur Hälfte. Hertlein sagt: „Ein Rundum-Paket kostet so viel wie ein Urlaub. Nicht günstig, ich weiß, aber ich gebe mein ganzes Wissen an die Menschen weiter. Damit ist ihnen langfristig geholfen.“
Zu Beginn spricht sie mit den Kunden darüber, welche Sportart sie gern treiben, was sie nicht leiden können, welche Essgewohnheiten sie haben, wie der Schlafrhythmus oder die Verdauung verläuft. „Das sind sehr intime Dinge, die eine Vertrauensbasis benötigen. Ich versuche mit den Klienten genau zu ergründen, warum sie in dem Zustand sind und wohin sie gern möchten.“ Nur anhand dieser Infos und mit dem Wissen über körperliche Voraussetzungen und Lebensumstände kann sie ein Trainings- und Ernährungskonzept entwerfen, das möglichst wenig Hürden enthält, es durchzuhalten. „Wenn jemand einen Hund hat, dann wird die Gassirunde durch etwas Veränderung zur zusätzlichen Trainingseinheit. Wenn ein anderer häufig zu Tisch eingeladen ist, dann muss das berücksichtigt werden“, erklärt Hertlein.
Nicht alle Kunden sind übergewichtig. Ebenso gibt es diejenigen, die in ihrem Training stagnieren und nicht mehr wissen, wo sie Anreize für ihren Körper setzen sollen, damit er sich weiterentwickelt. Oder diejenigen, die zwar recht zufrieden sind, ihren Körper aber ausdefinieren wollen.
Problemzone Oberschenkel
„Du neigst eher zu einer ,Birnenform‘. Wenn du Gewicht zulegst, dann besonders an der Hüfte und den Oberschenkeln – dem gilt es vorzubeugen“, erklärt Hertlein mir. Außerdem stehe ich krumm. Die Schultern hängen, der Rücken ist fast im Hohlkreuz, der Bauch steht vor. Das heißt für mich: Rücken- und Bauchmuskulatur stärken. „Außerdem müssen wir die Schultern etwas nach hinten bringen, damit du aufrechter stehst“, sagt Hertlein.
Kunden mit unrealistischen Zielen nimmt sie schnell den Wind aus den Segeln. Von 120 Kilogramm schaffe man es eben nicht in sechs Monaten auf die Hälfte. „Zwei bis drei Kilo pro Monat abzunehmen, ist bei Übergewichtigen in Ordnung“, erklärt sie. Ausnahmen gibt es – zum Beispiel Schauspieler, die für eine Filmrolle schnell zu- oder abnehmen müssten.
Nach ausführlicher Anamnese und Erstellung des Trainingskonzepts, planen Hertlein und ihr Kunde die nächsten Trainings vor. Doch auch danach ist sie immer erreichbar: „Manche schreiben mir eine WhatsAppNachricht aus dem Supermarkt und fragen, was sie einkaufen sollen. Andere möchten einen Trainingstipp.“
Hertlein beantwortet alle Fragen, denn sie ist Dienstleisterin durch und durch. Sie hält die Tür für mich auf, bietet mir einen Apfel an, hat schon ein paar Lebensmittel für mich eingekauft und ihre warme Sportjacke darf ich auch anziehen, weil der Wind trotz Sonne kalt pfeift. Alles, damit ich nicht zur Birne werde. Auch dafür läuft sie mit mir treppauf, treppab, Liegestütz an der Bank, Kniebeuge – Bikinifigur, ich komme!
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