Flieger-Asse und U-Boot-Helden: Streit um Nürnbergs Straßen
2.5.2014, 08:07 UhrDie Stadt Hannover lässt derzeit 400 Straßennamen überprüfen. Vor allem (Um-)Benennungen aus der Zeit des Nationalsozialismus werden kritisch durchleuchtet. Die niedersächsische Landeshauptstadt ist kein Einzelfall: Etliche deutsche Kommunen durchforsten momentan eifrig ihr Straßenverzeichnis.
Nürnberg hat dies bereits 1989 getan: Damals stellte der Stadtrat fest, dass 263 Straßen, die zwischen 1933 und 1945 umbenannt wurden, noch diese alten Namen tragen. Immerhin 69 sind Personen gewidmet — etwa Infanteriegenerälen wie Bothmer, Militärs wie Clausewitz oder Kampffliegern des Ersten Weltkriegs wie Fritz von Röth oder Max von Müller. Die Grünen hatten damals Kritik an der kriegerischen Heroisierung geübt und eine stärkere Berücksichtigung von Menschen gefordert, die sich um den Frieden bemühen.
Die offensichtlichsten Nazi-Namen waren gleich 1945 getilgt worden: Der Adolf-Hitler-Platz hieß wieder Hauptmarkt, der Schlageter-Platz wurde zum Marienplatz (heute Willy-Brandt-Platz) und die Julius-Streicher-Schule wandelte sich zur Scharrerschule, die Hermann-Göring-Schule zur Konrad-Groß-Schule.
Zivile Schiffe beschossen
Doch wie geht man mit Jagdfliegern wie Max Immelmann oder Manfred von Richthofen um, die in der Zeit der Weimarer Republik mit Straßenbenennungen geehrt wurden? Ebenso wie U-Boot-Kommandant Otto Weddigen, der im Ersten Weltkrieg auch zivile Schiffe beschießen ließ und unzähligen Menschen den Tod brachte?
Aus heutiger Sicht ist die enorme Aufwertung des Militärischen sehr fragwürdig. Martin Sabrow, Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Berliner Humboldt-Universität, sieht eine deutliche Veränderung in der Mentalität der Gesellschaft: das Ende der Heroisierung und den Übergang zu einer opferorientierten Gesamtsicht. Allerdings hat er Vorbehalte gegen die Tendenz, die Straßen von mittlerweile unliebsamen Namen zu befreien.
„Ich finde es interessanter und auch ehrlicher, sich mit den Traditionsbeständen auseinanderzusetzen als diese zu tilgen. Wir betrieben historischen Exorzismus, wenn wir uns der öffentlichen Erinnerung an alle Personen entledigten, die wir als Belastung des Gemeinwesens und unserer Werte begreifen“, äußerte Sabrow in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Antisemitische Äußerungen
Aufregend, an den Nerven zerrend und anstrengend ist es in jedem Fall, wie jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen um die frühere Nürnberger Treitschkestraße belegen (jetzt: Steuerwald-Landmann-Straße, benannt nach der in Fürth geborenen Frauenrechtlerin).
Der harte Disput hatte nach der Namensprüfung 1989 begonnen: Dem berühmten Historiker Heinrich von Treitschke war angelastet worden, den Antisemitismus im 19.Jahrhundert salonfähig gemacht zu haben. Genauso heftig verlief der Streit vor acht Jahren um antisemitische Äußerungen des früheren evangelischen Landesbischofs Hans Meiser, die auch zur Umbenennung des nach ihm benannten Nürnberger Straßenstücks führten (heute: Spitalgasse).
Nach der Nürnberger Namensdurchsicht von 1989 und den anschließenden Kontroversen sieht das Stadtarchiv keinen weiteren Diskussionsbedarf. „Aus dem Dritten Reich haben wir nichts mehr im Keller“, ist Archivdirektor Michael Diefenbacher sicher. Zwar sieht auch er die Häufung von Militärs, Flieger- und U-Boot-Helden des Ersten Weltkriegs kritisch, aber: „Ich würde daran nicht rühren. Viele dieser Benennungen stammen nicht aus der NS-Zeit, sondern noch aus der Weimarer Republik.“
Bei Straßenbenennungen nach Personen gibt es formal drei Prinzipien: Der Betroffene muss verstorben sein, er muss einen Bezug zu Nürnberg haben und seine Biografie muss vom Stadtarchiv geprüft sein. Nicht immer hält sich der Stadtrat allerdings an seine Vorgaben. „Wir hatten uns vehement gegen Nelson Mandela, Olof Palme und Andreij Sacharow ausgesprochen, weil der Nürnberg-Bezug völlig fehlt“, meint Diefenbacher, „aber der Stadtrat hat eben anders entschieden.“ Er könne sich aber sehr gut vorstellen, dass Nürnberger Menschenrechtspreisträger nach ihrem Tod mit einer Straße geehrt würden.
Die Archiv-Gutachten werden aber oft lediglich als Anregung genommen. So hatte Diefenbacher beispielsweise nach dem Tod von Altoberbürgermeister Ludwig Scholz für eine Verkehrsverbindung in unmittelbarer Nähe zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände votiert: „Das war eine seiner größten Leistungen“, meint der Historiker. Doch es fand im Stadtrat keine Mehrheit, eine Brücke über die Südwesttangente erhielt den Zuschlag.
Auch Zeitströmungen spiegeln sich deutlich in den Straßenbenennungen wider: Nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerte man an schlesische Städte wie Lüben, Glatz, Glogau, Breslau oder Liegnitz — die Heimatvertriebenen spielten damals eine sehr wichtige Rolle. Heute würde niemand mehr Straßennamen zur Erinnerung an die verlorenen deutschen Ostgebiete vorschlagen, glaubt der Stadtarchiv-Direktor.
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