Nürnberger Biergeschichte(n)

Frauen am Sudkessel: "Man muss was in der Birne haben"

Kurt Heidingsfelder

Projektredakteur

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18.3.2022, 12:00 Uhr
"Die meisten Frauen können sich nicht vorstellen wie vielfältig Bier sein kann": Luisa Zametzer an der Flaschenabfüllanlage. 

© Nadja Gößner, NNZ "Die meisten Frauen können sich nicht vorstellen wie vielfältig Bier sein kann": Luisa Zametzer an der Flaschenabfüllanlage. 

Ihr Vater, damals Kaufmann bei der Tucher Bräu, hätte sie lieber in einem Bürojob gesehen als in dieser Exotenrolle. Aber Kerstin Bellair setzte ihren Willen durch. Als die gebürtige Fürtherin in Weihenstephan Brauwesen studierte, war sie in ihrem Jahrgang eine von vier Frauen. Neben 91 Männern. Noch dazu hatten die anderen drei Studentinnen im Gegensatz zu ihr alle eigene Brauereien daheim, also eine Art natürlicher Legitimation, in diese Männerdomäne einzudringen. Wenn sie irgendwo ihren Beruf angeben soll - "Diplom-Braumeisterin"-, löse das bis heute ein "Aha" aus, sagt Bellair.

Im September 2021 begann Luisa Zametzer (19) ihre Ausbildung zur Brauerin und Mälzerin. Sie war durch ein Praktikum auf den Geschmack gekommen. Von den anfangs 52 neuen Lehrlingen in ihrer Berufsschule waren nur sechs weiblich. Allzu viel scheint sich also in den letzten Jahrzehnten nicht verändert zu haben im Verhältnis von Frauen zum Bier.

Susa vom Endt stimmt da nur teilweise zu. Die 35-Jährige, die mit ihrem Mann Felix 2017 die Nürnberger Orca Brau gegründet hat, sieht vor allem in der Craftbeer-Szene viele Geschlechtsgenossinnen am Werk, im Marketing, im Verkauf oder auch am Zapfhahn. "Und ich habe das Gefühl, es werden immer mehr."

Verständnis von Chemie

Aber was ist mit der Herstellung, dem Brauen? „Na ja“, erinnert sich Bellair, „früher musste man als Brauer 50-Liter-Fässer aufs Band wuchten und auch sonst oft schwere Sachen heben, da kam ich natürlich an meine Grenzen.“ Heute sei das zumindest in größeren, weitgehend automatisierten Betrieben eigentlich kein Hindernis mehr. Die inzwischen 57-Jährige muss selbst längst nichts mehr schleppen, sie ist bei der Tucher Bräu für die Qualitätssicherung verantwortlich.

"Bier war für mich nur das bittere Getränk der Bauarbeiter": Susa vom Endt von Orca Brau im Lager der kleinen Brauerei in Steinach.

"Bier war für mich nur das bittere Getränk der Bauarbeiter": Susa vom Endt von Orca Brau im Lager der kleinen Brauerei in Steinach. © privat, NN

Sie habe nach dem Abitur viele Bewerbungen geschrieben und viele Absagen erhalten, sagt Luisa Zametzer. „In einem Fall habe ich über Umwege mitbekommen, dass man mich nicht wollte, weil ich eine Frau bin.“ Letztlich fand sie aber doch eine Stelle. Seit einigen Monaten ist sie in derselben Brauerei beschäftigt wie Bellair. Ihre Kollegen, meint die Abiturientin, freuten sich über „das Lehrlingsmadla“ – das gerade mal dritte bei Tucher in einem halben Jahrhundert.

Dass sie möglicherweise über weniger Körperkraft verfügt als Männer, spielte bislang noch keine Rolle, sagt Zametzer. „In dem Beruf", erklärt Tucher-Geschäftsführer Gunther Butz, brauche man längst „vor allem etwas in der Birne“, insbesondere ein gewisses Verständnis von Chemie.

Flüssiges Brot von der "Hauß-Halterin"

Was wohl viele Biertrinker und Biertrinkerinnen nicht wissen: Brauen war sehr lange Frauensache. In den Klöstern sorgten im Mittalter zwar Mönche für den Gerstensaft, in den unzähligen Kleinstbrauereien, die es zu der Zeit auch in Nürnberger Privathäusern gab, kümmerte sich indes die "Hauß-Halterin" sowohl um das feste Brot aus dem Backofen als auch um das flüssige aus dem Kessel. Das änderte sich erst, als die Bierproduktion wegen der Brandgefahr auf immer weniger Betriebe konzentriert wurde.

Das Bier im Mittelalter war dünn und schmeckte immer wieder anders. Aus heutiger Sicht war es wohl einigermaßen ungenießbar - sowohl für Männer als auch für Frauen. Inzwischen läuft die Herstellung viel hygienischer, viel kontrollierter ab. Das Ziel ist, immer wieder den gleichen Geschmack zu reproduzieren. Was aber mundet eher den Frauen als den Männern? Welches Bier ist sozusagen weiblich?

Frauen mögen es weniger herb, weniger hopfenbetont, sondern eher fruchtig, meinen Zametzer, Bellair und vom Endt unisono. "Aber je älter ich werde, desto herber wird mein Biergeschmack", bemerkt Diplom-Brauerin Bellair. "Meine Freundinnen", sagt die 19-jährige Luisa Zametzer "trinken meistens Mischgetränke wie Radler oder gleich Cocktails. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie vielfältig Bier sein kann."

"Sehr komplex"

Die gleiche Vermutung äußert Susa vom Endt. Sie habe ja genauso empfunden. "Mit Bier konnte ich gar nichts anfangen. Das war für mich nur das bittere Getränk der Bauarbeiter. Ich habe da sehr in Klischees gedacht." Dann traf die Nürnbergerin ihren späteren Mann. Und der hatte eine große Leidenschaft für Bier. Sie wanderten gemeinsam nach Kanada aus, probierten, erforschten und träumten.

In Nordamerika wurde zwar nicht unbedingt nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut, aber sehr kreativ. Sogar die Flaschen sahen toller aus. Zurück in der Heimat führte die Bier-Begeisterung des Paares letztlich zum Aufbau einer eigenen Brauerei.

"Frauen sind tendenziell aufgeschlossener für Neues", findet vom Endt. Neben konventionellen Sorten hat ihr kleines Unternehmen auch Bier im Angebot, das nach Himbeeren und nach Chili schmeckt. Möglicherweise, so vom Endt, sei das die Erklärung dafür, dass sie in ihrer Kundschaft einen beträchtlichen weiblichen Anteil ausmacht.

Sie selbst, sagt Susa vom Endt, liebe inzwischen Sauerbier, das sei geschmacklich "sehr komplex". Für die meisten Männer ist das wahrscheinlich nichts.

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