Freude für alle - Fall 14: Der Fluch der Nebenwirkungen
30.11.2020, 05:51 UhrVon seinem Balkon hält er gerne einen Plausch mit Nachbarn, am Esstisch erzählt er munter von besseren Tagen. Aber der Eindruck bei solchen Begegnungen ist trügerisch: An vielen Tagen ist Hermann B. (Name geändert) vor lauter Schmerzen zu kaum einer Regung in der Lage. Dann reicht ihm auch in seiner Wohnung der Rollator nicht mehr und es bleibt nur der Rollstuhl.
So sind sein Leben und Alltag von extremen Schwankungen geprägt. Dennoch blieb ihm bisher ein Pflegegrad versagt - und damit entsprechende Leistungen. Wie alles anfing, weiß der gebürtige Fürther noch genau: "Von einem Augenblick auf den anderen konnte ich meine Beine nur noch ganz schwerfällig bewegen", erinnert er sich. Für eine Strecke, die Gesunde in fünf Minuten bewältigen, benötigte er plötzlich fast eine Stunde. Es war, wie sich herausstellte, eine Nebenwirkung der Präparate, die einen Ausbruch von Aids verhindern sollten. Und es blieb nicht bei dem ersten Alarmzeichen: Hermann B. litt und leidet unter einer handfesten Polyneuropathie mit Myalgien, weitere Beschwerden wie das Lungenleiden COPD kamen hinzu.
Infektion mit HIV in den 90ern
Mit dem HI-Virus hatte er sich bereits Mitte der 90er-Jahre infiziert, also lange zuvor. Damals waren die Behandlungsmöglichkeiten noch ziemlich begrenzt, die Ärzte gaben ihm damals höchstens noch zehn Jahre Lebenszeit. Doch von schweren Einschränkungen blieb er zunächst verschont.
Der damals gerade Mitte 20-Jährige ließ sich aber nicht hängen, sondern startete durch und war weiter berufstätig. Buchstäblich wegweisend wurde eine kleine Städtetour nach Wien. Da gefiel es dem gelernten Floristen so gut, dass er beschloss, vorübergehend dort zu leben und zu arbeiten. "Es wurden meine glücklichsten Jahre", meint er im Rückblick. Und zu Festen wie dem Opernball steuerte auch sein Betrieb Gestecke und Gebinde zum üppigen Blumenschmuck bei.
Zu gerne würde der 50-Jährige einer Beschäftigung nachgehen
Wieder zurück in Franken, war er inzwischen auf eine behindertengerechte Wohnung angewiesen. Mehr als ein Jahr suchte er nach einer geeigneten Bleibe - und musste auch dann noch schwer darum kämpfen. Denn die Mietkosten überstiegen die vom Sozialamt akzeptierten Richtwerte. "Aber so günstigen Wohnraum wie gefordert, gab es auf dem Markt einfach nicht", stellt B. fest - bekanntlich ein Dauerproblem bis heute. Auch für den gerade mal 50-Jährigen, muss er doch mit einer bescheidenen, durch Grundsicherung aufgestockten Rente auskommen. Zu gerne würde er einer Beschäftigung nachgehen, aber selbst für einen Nebenjob ist er nicht stabil genug.
Wichtige Stützen sind für ihn schon seit weit über zehn Jahren die Aids-Hilfe Nürnberg-Fürth-Erlangen, vor allem mit ihrem Angebot der ambulanten Betreuung, aber auch vier- und zweibeinige Hausgenossen. Mit einer Selbsthilfegruppe konnte sich B. dagegen nicht anfreunden. "Da erzählt jeder nur, wie schlecht es ihm geht, das zieht mich noch mehr runter", meint er. Dagegen hat er für sich den Umgang mit Pinsel und Farben als Bereicherung entdeckt: "Malen erdet mich und macht mich ruhiger"; sagt er. Und seine Farb- und Naturstudien strahlen das tatsächlich aus.
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