"Freudenmädchen" Eva S.: Eine Prostituierte erzählt
20.11.2016, 06:00 UhrEin Haus, in dem man Sex kaufen kann, stellt sich die Unerfahrene weiß Gott anders vor. Im Hausflur parkt ein Kinderwagen, die Nachbarn stapeln ihre ausgelatschten Turnschuhe in einem niedrigen Regal im Flur. An der Türe im Erdgeschoss steht Eva S. Kräftiger Händedruck, schmale schwarze Lederhose, schwarzer Pulli, gepflegte Strähnchenfrisur. Auch wenn diese Frau und das Mietshaus in Nürnberg-St. Peter so unauffällig wirken: Hier gibt es Sex für Geld, und Eva S. verkauft ihn.
Drinnen döst ein alter Hund mit trüben Augen am Sofa, auf einem Sideboard stehen gerahmte Jugendfotos ihrer erwachsenen Söhne. Das Gespräch findet zunächst in der unteren Wohnung statt, wo die Prostituierte und ihre derzeitige Kollegin Termine vereinbaren, übernachten oder auf Freier warten. "Da draußen laufen sie vorbei", sagt sie und zeigt auf die Spitzengardine. Ganz normale Männer, hässliche und schöne, zwischen 18 und 80, klingeln hier.
"Ich bin ein Freudenmädchen"
Erst später wird sie ihren Arbeitsplatz zeigen, in der zweiten Wohnung, zwei Etagen höher, wo Rotlicht-Klischees dann besser bedient werden. "Ich bin ein Freudenmädchen", sagt Eva S. und lacht herzlich auf dem Sofa neben dem schlafenden Hund. Es klingt überhaupt nicht aufgesetzt. Ihr Beruf habe nun mal viel mit Freude zu tun. Wobei, Mädchen... die Frau mit dem lebhaften Temperament und dem charmanten österreichischen Akzent ist 71 Jahre alt. Schätzen würde man die dreifache Mutter bei günstiger Beleuchtung auf Anfang 60. Vom Typ her könnte sie ohne Probleme bei der Sparkasse am Schalter stehen.
Im Internet werben Prostituierte ihrer Altersklasse mit Adjektiven wie "reif" oder "erfahren". Sie bedient die mütterliche Schiene, manche Männer gerieten bei jungen Prostituierten unter Leistungsdruck und bevorzugten deshalb ältere, nicht so perfekte Damen. Sie erfahre viel Dankbarkeit. "Eva, du machst doch weiter?", werde sie von Stammkunden gefragt. Eva macht weiter, noch eine Weile, weil ihr daheim, in der 160 Kilometer entfernten Kleinstadt, sonst die Decke auf den Kopf fällt. Hier werde sie gebraucht.
Späteinsteigerin im Geschäft
Die 71-Jährige verdient ihr Geld mit Prostitution, seit sie vor 30 Jahren nach zwei gescheiterten Ehen bei einer Freundin anheuerte. Die hatte ein Kleinstadt-Etablissement in Unterfranken; die Mädchen, die die Späteinsteigerin damals angelernt hätten, seien halb so alt gewesen. Man mag es ihr glauben oder nicht, schwergefallen sei ihr das nicht, betont sie. Sex habe sie schon immer gemocht.
Dazu kam noch ein ganz praktischer Grund: Als ehemalige Hausfrau und Alleinerziehende ohne Berufsausbildung habe sie "normale" Jobs mit den Kinderbetreuungszeiten nur schwer vereinbaren können. Dann also Freudenmädchen, "tun, was Männer von ihren Frauen nie verlangen würden". Die halbe Stunde kostet 50, die ganze 100 Euro. Steuern zahle sie pauschal, das richte sich nach dem Kontostand. Über die gängigen Praktiken spricht sie so entspannt wie andere über Kochrezepte. Klassischer Verkehr, Französisch, Rollenspiele, ein wenig Fixieren, ein bisschen Sado-Maso, "aber nichts, was wehtut".
Angst vor Krankheiten ist da
Vielleicht hat diese Prinzipienfestigkeit damit zu tun, dass sie drei Kinder großgezogen hat: Eva S. ist eine Wohnungsprostituierte, die Grenzen zieht. Kein Alkohol, keine Drogen, ohne Kondom läuft bei ihr nichts, auch wenn manche Kunden dafür viel Geld drauflegen würden. Vor Krankheiten habe sie immer Angst gehabt. Kürzlich trennte sie sich von zwei Mitmieterinnen, die "ohne" arbeiteten. Die anderen täten’s doch auch, hätten die Mädchen gejammert, als ihnen Eva S. bei Mülleimer-Kontrollen auf die Schliche gekommen war.
Sie zieht angewidert die Augenbrauen hoch, versteht diese Freier nicht, die mit ihrer Gesundheit spielen. In Bayern gibt es schon seit 2001 eine Kondompflicht. Aber die stehe nur auf dem Papier, sagt sie, kontrollieren könne das doch keiner. Dass dies durch das neue Prostitutionsschutzgesetz anders wird, glaubt sie nicht. Dass es schwerer werden wird für Prostituierte in Wohnungen, damit rechnet sie allerdings.
Kindergeschrei und Radiolärm
Mit den Nachbarn in dem vierstöckigen Altbau vertrage man sich gut, die Frauen nehmen Pakete an, wenn die Mitbewohner nicht da sind. Klagen gebe es keine, die Kundschaft achte schließlich sehr auf Diskretion. Jetzt endlich geht es zwei Stockwerke nach oben, vorbei an Kindergeschrei und Radiolärm hinter den anderen Türen.
Eine Kollegin, etwa Ende 40, üppig und mit offenherzigem Dekolleté, öffnet und intensiver Sauerkrautgeruch umfängt den Gast. Kraut mit Kassler steht heute auf dem Speiseplan, zwischen zwei Freiern wird schon mal gekocht, auch wenn der Duft womöglich nicht unbedingt erotisierend wirkt.
Ein Zimmer ist verdunkelt, eine rote Lichterkette verbreitet Schummerlicht, auf einem verschnörkelten Bett aus Schmiedeeisen liegt eine Plastikblume. Das war’s dann schon. Diese eher private Atmosphäre werde von den Männern sehr geschätzt, sagt Eva S., die unten wieder das Sofa okkupiert hat. Es ist hier wie bei Muttern, nur ein bisschen verrucht.
Zum Schluss kratzt das "Freudenmädchen" dann doch ein wenig am Lack, lässt einen kurzen Blick hinter die muntere Fassade zu. Privat empfinde sie nichts mehr, körperliche Liebe ertrage sie schon seit Jahren nicht mehr. "Aber vielleicht ist das normal in meinem Alter?" Eines rechnet sie ihren Freiern hoch an. Kein einziger spreche schlecht von seiner Frau.
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