Für 16.500 Euro: Nürnberger bleibt 60 Tage im Bett liegen
2.8.2019, 05:53 UhrDas Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erforscht, wie sich der Körper in der Schwerelosigkeit verändert – dabei bleiben Teilnehmer 60 Tage lang permanent im Bett. Halten sie durch, bekommen sie 16.500 Euro. Ein Spaziergang ist die Studie aber nicht, wie Andrea Nitsche vom DLR erklärt. Sie ist unter anderem zuständig für die Auswahl der Probanden. Die Bettruhestudie in Köln wird im Auftrag der amerikanischen Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft Nasa und der europäischen Weltraumorganisation Esa durchgeführt.
89 Tage hat die Studie gedauert, davon waren knapp zwei Monate im Bett zu verbringen — und dafür gibt es noch einen Batzen Geld. Das hört sich nach einem Traumjob an, oder?
Andrea Nitsche: Es klingt extrem verlockend, im Bett liegend viel Geld zu verdienen. Aber so einfach ist es nicht. Es ist eine wissenschaftliche Studie mit vielen Experimenten, bei denen regelmäßig der ganze Körper untersucht wird. Die Tage im Bett sind auch nicht ganz so chillig. Man liegt nicht horizontal auf der Matratze, sondern mit einer Neigung von sechs Grad zum Kopf hin nach unten geneigt und ohne Kopfkissen.
Kopf runter, Füße hoch: Das ist sicher nicht besonders angenehm.
Nitsche: Am Anfang ist diese Position ungewohnt, weil sich die Körperflüssigkeiten durch die schiefe Ebene in Richtung Kopf verschieben – aber das ist ja genau das, was wir hervorrufen wollen. Nach ein, zwei Tagen haben sich die Teilnehmer daran gewöhnt und merken das nicht mehr.
Mit dem Experiment ahmen Sie die negativen Effekte der Schwerelosigkeit nach. Was könnte das denn sein?
Nitsche: Die Schwerelosigkeit, welche die Astronauten im All erleben, sorgt dafür, dass sich Muskeln und Knochen abbauen, weil diese ja nicht benötigt werden. Durch die erhöhte Flüssigkeitszufuhr wegen der Kopftieflage haben wir einen erhöhten Druck auf den Kopf – das beeinträchtigt die Augen und auch die kognitiven Leistungen. Das Herz-Kreislauf-System muss zudem ganz anders arbeiten, als es hier auf der Erde der Fall ist.
Und Sie wollen herausfinden, wie man mit diesen Auswirkungen umgehen kann?
Nitsche: Die Effekte selbst sind ja bekannt. Unser Ziel ist es, mit verschiedensten Studien Mechanismen zu entwickeln, die diese negativen Effekte abmildern oder vielleicht sogar ganz verhindern.
Bei der Studie im April war auch ein Mann aus Nürnberg mit dabei. Und wie erging es ihm?
Nitsche: Er hat sich großartig geschlagen, wie alle Probanden, die wir sorgfältig ausgewählt und körperlich und psychisch auf Herz und Nieren geprüft haben. Er hat alle Experimente mitgemacht. Alle Probanden haben natürlich mal einen Tag, wo es nicht ganz so gutgeht. 60 Tage im Bett, das ist eine lange Zeit – und da gibt es schon mal kleinere oder größere Krisen, vor allem wenn daheim nicht alles rundläuft. Schließlich ist man zur Untätigkeit verdammt – das macht schon was mit einem.
Wie schaut es in dieser Zeit eigentlich mit der Hygiene aus?
Nitsche: Der Toilettengang ist so natürlich nicht drin: Dafür gibt es Urinflaschen und Bettpfannen. Ansonsten kann fast jeden Tag geduscht werden. Man wird auf einer Liege in die Dusche gerollt und kann sich selbst waschen.
Welche Speisen gibt es?
Nitsche: Wir haben keine Astronautennahrung. Statt Pülverchen und Tübchen gibt es ganz normales Essen – von Gulasch mit Knödeln über Currywurst mit Pommes zu Nudeln mit Lachs. Die Ernährung ist für jeden Probanden anhand seines individuellen Grundumsatzes genau berechnet. Jeder bekommt so viel, wie er benötigt. Und das muss auch aufgegessen werden bis zum letzten Reiskorn.
Im Liegen, mit dem Kopf nach unten, ist es aber nicht einfach, einen Kloß mit Soße zu essen.
Nitsche: Das funktioniert ganz gut (lacht). Es gibt hier unterschiedlichste Techniken. Natürlich ist es ungewohnt, aber jeder Proband findet für sich die richtige Haltung. Gerade am Anfang der Bettruhephase servieren wir keine Speisen, wo man viel schneiden muss. Da gibt es mundgerechte Häppchen, die man mit der Gabel aufspießen kann. Fürs Trinken gibt es Strohhalme.
Ist Wundliegen ein Thema?
Nitsche: Nein! Die Probanden liegen ja nicht steif auf dem Rücken, sondern sie dürfen auch auf der Seite oder auf dem Bauch liegen.
Früher oder später kriegt man sicher einen Lagerkoller: Wie werden die Teilnehmer dann motiviert?
Nitsche: Wir haben ein großes Team mit Psychologen, die den Probanden auffangen können. Es gibt immer wieder kleinere Veranstaltungen. So kommt mal ein Astronaut vorbei, der einen Vortrag hält. Wir schaffen Anreize von außen. Einen richtigen Koller, bei dem der Teilnehmer heimgehen will, hatten wir bisher noch nicht. Jeder darf Kontakt zu Familie oder Freunden haben, man kann telefonieren, skypen oder Mails schreiben. Nur Besuche sind nicht erlaubt.
Ist den Probanden auch mal langweilig?
Nitsche: Das kommt vor. Wir sagen vorher deutlich, dass man sich etwas vornehmen sollte. Allerdings sollte das nichts sein, was man zwingend schaffen muss. Das Herumliegen macht träge, man ist nicht so leistungsfähig wie sonst. Das Schreiben der Hausarbeit für die Uni ist also nicht geeignet. Lieber sollte man zum Beispiel eine Sprache lernen. Die Probanden haben auch untereinander Kontakt: So können wir zwei oder mehrere Personen zusammenschieben, damit sie etwa Karten spielen können. Aber alles im Liegen!
Wie gestaltet sich denn die erste Zeit, wenn man wieder aufstehen darf? Gibt es da Probleme?
Nitsche: Es geht. Man kann sofort gehen – allerdings wacklig. Von Tag zu Tag merkt man, dass sich die Muskeln erinnern, wofür sie eigentlich da sind. Anfangs ist es natürlich fremd, wenn das ganze Gewicht wieder auf den Füßen lastet. Viele haben deshalb anfangs Schmerzen in den Füßen. Wir fangen aber sofort nach dem Aufstehen mit einem Reha-Training an und alle gehen fit wieder nach Hause.
Würden Sie an der Studie selbst mal teilnehmen?
Nitsche: Ich finde den Gedanken charmant, dass ich mein Essen dreimal täglich ans Bett serviert bekomme, meine Wäsche gewaschen wird und ich Zeit habe, meine Bücher zu lesen. Ob ich aber drei Monate ohne frische Luft und Sport auskäme? Da bin ich zwiespältig...
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