Bargeld gegen Gutschein

„Gegen die Menschenwürde“: Nürnberger Initiative gegen die Bezahlkarte für Geflüchtete

Jannik Westerweller

Nordbayern.de

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27.9.2024, 05:00 Uhr
Künftig wird einmal wöchentlich ein Kartentausch in der Desi stattfinden.

© IMAGO / Bihlmayerfotografie; Elia Hupfer Künftig wird einmal wöchentlich ein Kartentausch in der Desi stattfinden.

Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist das umstrittene Projekt der Länder, um Migration zu begrenzen, sie soll abschrecken und Anreize für sogenannte illegale Migration senken, sie soll verhindern, dass Asylsuchende Geld an Familienmitglieder oder gar Schleuser schicken. Immer wieder wird das Modell kritisiert: Denn mit der Karte gehen viele Einschränkungen für Asylsuchende einher.

Zuletzt wurde im Fall einer Frau aus Schwabach ein eindeutiges Urteil des Nürnberger Sozialgerichts gesprochen: Die Bezahlkarte bedrohte das Existenzminimum, da es ihr einerseits nicht möglich war, im benachbarten Nürnberg einzukaufen oder günstigere Artikel aus dem Internet zu erstehen.

Carolin Wabra vom Bayerischen Flüchtlingsrat erzählt: "Wir lehnen die Bezahlkarte aus verschiedenen Gründen entschieden ab". Die Bezahlkarte sei ein Produkt einer "Politik der Ausgrenzung und Härte" des Bayerischen Innenministeriums, sie sei eine Maßnahme, die Geflüchteten das Leben schwer macht und ihre Teilhabe an der Gesellschaft erschwert. Gerade das Bargeldlimit von 50 Euro pro Monat sei viel zu wenig. Denn wer nicht viel Geld hat, muss oft gebraucht kaufen, beispielsweise auf Flohmärkten oder über Ebay Kleinanzeigen. Und da wird meist bar gezahlt.

Außerdem können Geflüchtete mit Residenzpflicht damit nur in bestimmten Postleitzahlgebieten einkaufen, oft müssen Überweisungen vom Sozialamt erst freigegeben werden. Der Bayerische Flüchtlingsrat ist überzeugt: "Sie schafft mehr Probleme, als sie verspricht, zu lösen". Nicht nur schafft das einen großen Mehraufwand bei den Sozialämtern, so vertrauliche Quellen gegenüber dem Flüchtlingsrat, ebenfalls funktioniert das System im Alltag nicht, beispielsweise bei der Buchung von Verkehrstickets. Besonders gravierend ist das bei notwendigen Fahrten zu Botschaften und Ämtern.

Gerade der Fall der Frau aus Schwabach zeige: Es könne sich unter bestimmten Umständen auch lohnen, gegen die Bezahlkarte zu klagen.

Nürnberger Initiative gegen die Bezahlkarte

In Nürnberg formiert sich nun Widerstand gegen die Bezahlkarte. Ein Bündnis aus Einzelpersonen, Menschenrechtsorganisationen, politischen Gruppen und sozialen Interessensvertretungen, aus mehreren antifaschistischen Gruppen sowie dem Bayerischen Flüchtlingsrat gründete sich im Sommer - mit dem Ziel, Geflüchteten Solidarität entgegenzubringen. "Wir finden, 50 Euro im Monat sind viel zu wenig und wir finden, jeder soll selbst über das Geld bestimmen können, dass er oder sie bekommt", heißt es im Selbstverständnis der Initiative. Sie wollen sich "gegen eine zunehmend autoritäre politische und gesellschaftliche Atmosphäre, die Asylbewerber:innen kriminalisiert und ausgrenzt" stellen.

Das Konzept ist denkbar einfach: Asylsuchende kaufen im Vorfeld mit ihrer Bezahlkarte Supermarkt-Gutscheine von Aldi, Lidl, Edeka, Rewe oder DM für maximal 50 Euro. Solidarische Personen kommen mit Bargeld vorbei. Vor Ort wird dann eins zu eins getauscht, es wird überprüft, ob der Betrag auch wirklich auf dem Gutschein ist. Im Grunde sei das eine Lösung, bei der niemand verliert: Denn für Menschen ohne Bezahlkarte ist es ja egal, ob sie bar oder mit Gutschein zahlen. Geflüchtete hingegen genießen mehr Freiheiten beim Wocheneinkauf.

Zum ersten Mal wird die Aktion am Montag, 30. September, im Nürnberger Kulturzentrum Desi stattfinden. In unregelmäßigen Abständen soll das Tauschen zudem auch an Infoständen in Nürnberg und Umgebung möglich sein.

Das Vorhaben begrüßt der Flüchtlingsrat: "Wir finden solche Initiativen wie die in Nürnberg eine sehr schöne Idee", es sei eine "praktische, solidarische Lösung", erklärt Wabra. Zwar dürfe diese "Trickserei" der Politik nicht gerade gefallen, aber: Dass derartige Initiativen völlig legal sind, wurde schon in anderen Fällen vom Justizministerium bestätigt.

Doch auch der Initiative ist klar: Es braucht eine gesamtgesellschaftliche und politische Lösung für das Problem. Sie wollen die Bezahlkarte nicht legitimieren, sondern Betroffene akut und niedrigschwellig unterstützen, explizit wenden sie sich gegen eine "Bezahlkarte mit Bargeldobergrenze, die betroffene Menschen entmündigt und ausschließt".

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