Gemeinschaftsunterkunft unter Quarantäne: "Bewohner verzweifelt"
1.9.2020, 05:56 UhrAuf dem Nachhauseweg kam Kathrin Flach Gomez am Samstagabend an der Gemeinschaftsunterkunft Schloßstraße 62 vorbei, wo gerade ein Polizeieinsatz beendet worden war. Wie die aufgebrachten Bewohner der Linken-Stadträtin mit Maske und Mindestabstand mitteilten, hatten sie bei dem Einsatz, der laut Polizeiangaben friedlich verlief, erfahren, dass sie in Quarantäne müssen. Eine Frau war positiv auf Covid-19 getestet worden. Erst Ende Juli war die gesamte Einrichtung schon einmal unter Quarantäne gestellt worden.
Die hygienischen Zustände, so erzählten die Anwesenden der Stadträtin, seien untragbar. Abstandsregeln und Infektionsschutz könnten mit Blick auf über 100 Bewohner nicht eingehalten werden. Je 15 bis 20 Personen, darunter Kleinkinder, müssten sich eine Dusche, Toilette und Küche teilen.
Flach Gomez leitete der Redaktion Fotos und Videos weiter, die unhaltbare Zustände in der Einrichtung dokumentieren sollen. Sie zeigen unter anderem Mehlwürmer und Motten in einer Gemeinschaftsküche, jede Menge Ungeziefer auf Insektenfallen und eine mitten in einem Wohnraum zuckende Maus. "Nahezu im Stundentakt erreichen mich Nachrichten verzweifelter Bewohner", sagt die 34-Jährige.
Nach Angaben von Bewohnern durften Berufstätige während der ersten Quarantäne trotz negativer Testergebnisse nicht zur Arbeit, Kranke und Schwangere konnten keine ärztliche Versorgung in Anspruch nehmen. Der Reinigungsdienst sei in dieser Zeit nicht gekommen. Laut Flach Gomez litten vor allem Kinder.
"Solche Zustände in einer sogenannten Stadt der Menschenrechte sind untragbar", beklagt die Linken-Politikerin. Sie fordert, dass die hygienischen Missstände in der Unterkunft schleunigst behoben werden.
Vor Ort umgesehen
Nürnbergs Umwelt- und Gesundheitsreferentin Britta Walthelm hat sich am Sonntag selbst ein Bild von der Lage gemacht – soweit das unter diesen Umständen möglich war. Die Duschen seien jeweils für Männer oder Frauen gekennzeichnet, eine Toilette für jeweils zehn Personen vorgesehen.
In solchen Fällen sei es Vorschrift, die gesamte Unterkunft unter Quarantäne zu stellen. Walthelm bestätigte, dass Berufstätige unabhängig vom Testergebnis nicht zur Arbeit gehen dürfen. Ihnen werde aber eine Arbeitgeberbescheinigung ausgestellt, so dass ihnen nicht gekündigt werden dürfe.
Die medizinische Versorgung ist laut der Gesundheitsreferentin gewährleistet. Medikamente würden vom Gesundheits- und Sozialamt gebracht, gegebenenfalls kämen Ärzte in die Unterkunft. Bei nicht aufschiebbaren Terminen dürfen Bewohner in enger Abstimmung mit dem Gesundheitsamt mit einer FFP2-Maske auf direktem Weg selbst zum Arzt, der seine Praxis möglichst im nahen Umfeld haben sollte. So sei es auch bei der ersten Quarantäne gewesen.
Problematische Hygiene
Das Reinigungspersonal ist laut Walthelm zwar nicht täglich, aber mehrfach pro Woche vor Ort, derzeit mit Schutzanzügen und Masken. Generell gebe es in Gemeinschaftsunterkünften immer wieder hygienische Probleme. In der Schloßstraße war in der Vergangenheit sogar mehrfach ein Kammerjäger vor Ort, wie Walthelm einräumt.
Die Gemeinschaftsunterkunft im einstigen Gebäude der Firma Lumophon war bereits bis 2008 eine Flüchtlingsunterkunft. 2015 wurde der Komplex in St. Peter nach den Vorgaben der Stadt renoviert, sei also recht modern, wie Walthelm betont.
"Wir tun unser Möglichstes", verspricht die Umwelt- und Gesundheitsreferentin. Das Sozialamt stehe mit dem Betreiber der Unterkunft in ständigem Kontakt.
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