Gesichter der Region: Nürnbergs dienstältester Friseur

29.10.2016, 06:00 Uhr
Der 77-jährige Friseur Wilhelm Seher hat immer noch Freude an seinem Beruf und macht ihn gerne freiwillig weiter.

© Michael Matejka Der 77-jährige Friseur Wilhelm Seher hat immer noch Freude an seinem Beruf und macht ihn gerne freiwillig weiter.

"Ich habe immer noch Freude am Beruf, warum sollte ich alles an den Nagel hängen?" meint der 77-Jährige mit einem breiten Lächeln. Zumal er weder über nachlassende Sehkraft zu klagen hat noch über Rückenschmerzen. Und vor allem: Hände und Finger führen Scheren und Messer immer noch so sicher wie eh und je.

"Es ist schon ein anstrengender Beruf, das stimmt, aber er ist zugleich mein Hobby." Und Bestätigung tut ihr übriges: "Das hast Du heute wieder mit Liebe gemacht", bekommt er von vielen Kunden hören. Und wahrscheinlich hat er das auch seiner eisernen Devise zu verdanken: "Ich bediene gleichmäßig gut." Dabei würde ihm ohne die gewohnte Routine gewiss nicht langweilig: Fotografieren ist sein "zweites Hobby" – und es gibt durchaus eine Verbindung zum Beruf: "Ich liebe alles, was mit Schönheit zu tun hat", sagt der gebürtige Oberpfälzer.

Sein Lebensweg beweist: Erfüllung kann auch eine Tätigkeit bieten, die ein Mensch ursprünglich gar nicht "auf dem Schirm" hatte, wie es neudeutsch so schön heißt. "Anfang der 50er-Jahre war es gar nicht einfach, den Traumberuf zu ergreifen oder die Wunschlehrstelle zu finden", erinnert er sich, während er seinem Kunden den Nacken ausrasiert.

Ursprüngliche Hoffnung auf Architekturstudium

Seine ursprüngliche Hoffnung auf ein Architekturstudium hatte er früh begraben müssen. "Dafür hätte ich damals zunächst eine Lehre auf dem Bau absolvieren müssen, und das lag mir nicht." Also ließ er sich, vielleicht auch aus Verlegenheit und weil es praktisch schien, auf das Barbierhandwerk ein. Und sein Lehrherr in Regensburger war auf Anhieb begeistert, das motiviert. Und nach der Meisterprüfung stellten die Liebe und die Heirat die Weichen für einen Wechsel nach Nürnberg.

Seine erste Stelle fand er im Salon "Belle Dame" am Frauentorgraben. "Die ersten Jahre waren nicht lustig", erinnert sich Seher. "Ich war eigentlich gut drauf, aber ich wurde lange abgelehnt und stand dumm herum." Doch geschickt und konsequent nutzte er seine Chance, wenn er als Vertretung und Aushilfe einspringen konnte: Bald er für einen festen Kreis von Kunden die erste Wahl. Das sollte sich in der Kaiserstraße fortsetzen. "Die Stelle konnte ich von einem Tag auf den anderen wechseln – und ich bekam glatt doppelt soviel Gehalt."

Auf dem Stuhl vor dem Spiegel nahmen fortan vor allem Geschäftsleute aus der Nachbarschaft Platz: Pelzhändler, Juweliere, aber auch Ärzte, Anwälte und Unternehmer. Empfehlungen taten ein übriges – und sicherten ihm reichlich Zuspruch und damit ein sattes Auskommen, als er sich 1985 mit einem Salon am Busbahnhof selbstständig machte – für immerhin noch 30 Jahre.

Lokale Prominenz ging ein und aus

Dass lokale Prominenz bei ihm ein- und ausging, hat er indes nie an die große Glocke gehängt.

Die wusste offenkundig seine Diskretion zu schätzen – und hätte um echte oder vermeintliche "Promi-Friseure" einen großen Bogen gemacht. Dass er sich selbst als Ausbilder und nebenher in der Handwerkskammer engagierte, war für Seher wohl so selbstverständlich, dass er es heute kaum der Rede wert findet.

Einen direkten Nachfolger für seinen Salon hatte er dennoch nicht. "Jetzt betreibt dort eine private Fernbus-Gesellschaft ihren Laden", erzählt er. Um aber weiter aktiv zu bleiben, hat er, ganz in der Nähe, bei einer Kollegin in der Marienstraße Unterschlupf gefunden: An drei Tagen pro Woche empfängt und bedienter ausgewählte und eng vertraute Kunden, ausschließlich nach Terminvereinbarung – und zahlt dafür eine sogenannte Stuhlmiete an die Inhaberin von "Angela‘s Frisurenparadies".

Bewundert er vielleicht die Jungen? Oder trauert er alten Zeiten nach? Weder noch, versichert er – und lässt sich dann doch die verbreitete, resignative Feststellung der reiferen Jahrgänge entlocken: "Das Niveau hat nachgelassen", findet er. Seine eigene, inzwischen schüttere Haartracht vertraut er aber doch keinem Altersgenossen an, sondern seinem Sohn. "Der hat harte Lehrjahre erdulden müssen, aber das hat sich für ihn gelohnt."

Keine Kommentare