Gewalt in der Erziehung: Ein Klaps hat noch jedem geschadet
3.5.2016, 07:45 UhrFrau Riedel-Schmelz, die Zahl der Todesopfer unter Kindern sinkt, die Fälle von Misshandlung sind 2014 um fünf Prozent gestiegen. Gleichzeitig gibt es immer weniger Kinder in Deutschland. Wie kommt’s?
Elke Riedel-Schmelz: Früher sind viel mehr Fälle in der Grauzone geblieben. Heute schauen Nachbarn oder Angehörige genauer hin und reagieren schneller. Trotzdem ist das Thema Gewalt in der Erziehung brisanter denn je. Dazu gehören auch psychische Verletzungen. Kinder herabsetzen, einsperren, missachten, das darf genauso wenig sein.
Wie erfahren Sie, dass in Familien geschlagen wird?
Riedel-Schmelz: Wir bekommen Anrufe, etwa von besorgten Großmüttern, die fragen: „Ist das noch in Ordnung?“ Oder von Eltern, die nach Handwerkszeug fragen, das ihnen in Krisen helfen kann. Wenn die Beziehung gut ist, raten wir Verwandten, das Thema offen anzusprechen, selbst Hilfe anzubieten oder auf unser Kursangebot „Starke Eltern — Starke Kinder“ hinzuweisen. Hier öffnen sich Eltern manchmal und berichten, dass sie „mal hinhauen“.
Darf Eltern die Hand ausrutschen?
Riedel-Schmelz: Ganz klar nein. Aber es passiert. Wichtig wäre zu erkennen, wann die Spirale beginnt, und sich einen Notausgang zurechtzulegen. Rausgehen aus der Situation und Hände waschen, zum Beispiel, bevor die Wut aufs Kind zu groß wird. Tief durchatmen und eine Pause machen, das hilft. Dann kann man sich neu auf das Kind einstellen, Ruhe einkehren lassen und nachfragen, was eigentlich los ist.
Warum misshandeln Eltern ihre Kinder?
Riedel-Schmelz: Der Druck auf Eltern ist immens geworden. Wenn beide berufstätig sind, muss alles klappen wie am Schnürchen. Aber dann kommt die Realität und die sieht oft ganz anders aus. Gleichzeitig gibt es eine große Verunsicherung in Erziehungsfragen. Sich auf das Bauchgefühl zu verlassen, fällt Vätern und Müttern immer schwerer. Stattdessen wird gegoogelt und nachgelesen, was richtig sein könnte.
Plädieren Sie denn dafür, dass die Frauen wieder daheimbleiben?
Riedel-Schmelz: Auf keinen Fall, schon weil sich viele Familien das gar nicht leisten können. Der Weg aus dem Stress muss eine Lösung für die ganze Familie sein. Das darf man nicht allein den Frauen aufladen.
Wer selbst geschlagen wurde, schlägt seine Kinder auch. Gibt es diesen Mechanismus wirklich?
Riedel-Schmelz: Ja, diese Eltern schlagen erkennbar häufiger zu, aber Gewalt üben auch andere aus. Wer darüber mit einem lockeren „Das hat mir auch nicht geschadet“ hinweggeht, den konfrontieren wir mit der Frage, wie sich das damals angefühlt hat. Da sind dann Wut, Scham, Rachegefühle, und so wird vieles klarer. Selbst Betroffene wollen von uns wissen, wie sie verhindern können, dass sie ins gleiche Verhaltensmuster rutschen.
Sind Schulen inzwischen aufmerksam genug, wenn es um Gewalt in der Erziehung geht?
Riedel-Schmelz: Sie sind heute gut ausgestattet mit Schulsozialarbeitern, die Elterngespräche anbieten, wenn ein Kind auffällig ist. Sie haben zwar Schweigepflicht, aber wenn Eltern überhaupt nicht kooperativ sind, ist natürlich der Allgemeine Sozialdienst der nächste Ansprechpartner.
Die Ohrfeige, die Tracht Prügel, das alles ist doch längst verboten?
Riedel-Schmelz: So ist es. Das Bürgerliche Gesetzbuch garantiert das Recht auf gewaltfreie Erziehung, setzt aber keinen Strafrahmen fest. Stattdessen gibt es einen Anspruch auf Hilfe, statt Strafe.
Das könnte ein zahnloses Verbot sein, oder?
Riedel-Schmelz: Das sehen wir nicht so. Über Hilfe wird ein weit größerer Effekt erzielt, auch im Sinne der Kinder. Trotzdem braucht es den offenen Blick aller, die mit auf die Familien schauen. Ärzte und Lehrer haben zusätzlich eine Melde- beziehungsweise Fürsorgepflicht, sie müssen einem Verdacht nachgehen.
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