"Glaubwürdigkeit ist eine Selbstverständlichkeit"

10.1.2013, 03:00 Uhr

Frau Schmidt, ist der neue SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück mit seinen hohen Rednerhonoraren als Sozialdemokrat noch glaubwürdig?

Schmidt: Ich glaube nicht, dass Peer Steinbrück ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Als das mit den Honoraren bekannt wurde, hat er sofort alles offen gelegt. Steinbrück hat in keiner Weise gegen Recht und Gesetz verstoßen und alles ordentlich versteuert. Nirgends steht geschrieben, dass ein sozialdemokratischer Politiker ein Armutsgelübde ablegen muss. Steinbrück stammt nicht aus einem Millionärshaushalt und weiß, was es heißt, sich durchbeißen zu müssen. Schließlich hat er auch nicht als Starredner mit hohen Honoraren in der Politik angefangen. Daher sehe ich seine Glaubwürdigkeit nicht beschädigt.

Auf der Liste der Nebenverdiener steht der neue SPD-Kanzlerkandidat immerhin ganz oben. Das würde man von einem Sozialdemokraten nicht unbedingt erwarten…

Schmidt: Von der SPD ist er der einzige unter den ersten zehn oder zwanzig Mitgliedern im Bundestag, die hohe Nebeneinkünfte haben. Auch ein Sozialdemokrat darf Geld verdienen, wenn er eine Leistung erbringt, und die hat Peer Steinbrück offenbar erbracht.

Ob das die Wähler auch so sehen?

Schmidt: Natürlich hat die öffentliche Diskussion über Steinbrücks Rednerhonorare der SPD und ihm selbst nicht gerade genutzt. Soweit man Umfragen Glauben schenken kann, verdammen ihn die Wähler deswegen aber nicht. Ausschlaggebend wird sein, wie sich der Spitzenkandidat und die Partei in den nächsten Monaten vor der Bundestagswahl darstellen. Dann wird die aktuelle Debatte um die Honorare wieder in den Hintergrund treten, auch, weil Steinbrück so offen damit umgegangen ist. Diejenigen, die ihn sowieso nicht wählen wollen, werden die Honorare weiterhin ins Feld führen – aber die hätten ihm auch ohne diese Diskussion ihre Stimme nicht gegeben.

Ist Offenheit ein wichtiger Punkt, wenn es um Glaubwürdigkeit geht?

Schmidt: Ja. Jeder Mensch macht Fehler. Wer Lebenserfahrung hat, hat im Regelfall auch Fehler gemacht und aus ihnen gelernt. Und wenn solche Fehler an die Öffentlichkeit kommen, ist es immer noch das beste Rezept, sofort den Stier bei den Hörnern zu packen. Das heißt: Den Fehler offen zugeben, erklären, wie damit umgegangen wird, und versuchen, das Vorgefallene wieder gut zu machen. Wenn das nicht möglich ist, muss man versprechen, den Fehler nicht noch einmal zu begehen und sich daran halten.

Ist Glaubwürdigkeit das höchste Gut eines Politikers?

Schmidt: Nein. Glaubwürdigkeit ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit. Als glaubwürdig empfunden zu werden, hat nicht unbedingt etwas mit dem persönlichen Verhalten oder Fehlverhalten zu tun. Jemand, der heute etwas verkündet und morgen das Gegenteil behauptet, ist letztlich auch nicht glaubwürdig. Das höchste Gut ist, vernünftige Konzepte zu entwickeln und diese auch umzusetzen. Und wenn das nicht klappt, verlangt die Glaubwürdigkeit, den Leuten verständlich zu erklären, warum es nicht geklappt hat. Das ist in meinen Augen höher zu bewerten, als irgendein Fehler.

Welchen Einfluss haben die Medien auf die öffentliche Meinungsbildung, wenn es um Fehler von Politikern geht?

Schmidt: Wenn man heute in den Fraktionssaal einmarschiert, steht da eine unüberschaubare Menge an Medienvertretern plus etliche Kameras. Und alle sind sie darauf aus, die eine Geschichte zu erhaschen, über die die anderen noch nicht berichtet haben. Vor zwanzig Jahren war das ganz anders, da waren nur wenige Reporter vor Ort. Was hatte ich es damals gut! Heute stürzen sich die Medien mit extremer Akribie auf jedes Fehlverhalten. Bei Christian Wulff ist ja bis hin zum Bobby-Car seiner Kinder alles durchleuchtet worden.

Diese Akribie wurde auch im Fall der Plagiatsvorwürfe gegen Guttenberg an den Tag gelegt…

Schmidt: Ich glaube, Guttenberg ist nicht an dem Problem mit der Doktorarbeit an sich gescheitert, sondern daran, dass er nicht offen damit umgegangen ist. Wenn Peer Steinbrück in gleicher Weise versucht hätte, Honorare zu verschleiern, dann wäre er wahrscheinlich nicht mehr lange Spitzenkandidat gewesen.

Als Familienministerin unter Schröder haben Sie damals die Hartz-Reformen mit auf den Weg gebracht, die viele Wähler als unsozial beurteilten. Hat damals Ihre eigene Glaubwürdigkeit darunter gelitten?

Schmidt: Nein. Ich halte die Reformen auch heute noch für richtig. Sicher war nicht alles bis in letzte Detail durchdacht, aber sie gehörten auch zu den umfangsreichsten Sozialreformen, die es je gegeben hat. Ich halte es nach wie vor für richtig, dass wir Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt haben. Ich halte es allerdings für falsch, dass viele Dinge wie Leiharbeit oder Minijobs, die wir als etwas Gutes erdacht haben, in diesem Maße zugenommen haben. Das ist in meinen Augen Missbrauch seitens der Unternehmen und muss geändert werden.

Hat das Image der SPD darunter nachhaltig gelitten?

Schmidt: In den Wahlen danach, sicher. Ich glaube aber, dass auch heutzutage der größte Teil der Gesellschaft hinter den Reformen steht. Natürlich mit der Einschränkung, dass wir einige Dinge ändern müssen. Aber daran arbeiten wir ja bereits, und man kann aus der Erfahrung nur klüger werden. Ich glaube nicht, dass jemand anderer als wir solche Gesetze hätte durchsetzen können. Darum ist es gut, dass wir es getan haben, auch wenn es der Korrektur bedarf.

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