Glibberpampe und Knallbowle

02.04.2009, 00:00 Uhr
Glibberpampe und Knallbowle

Aber nicht die Zahlen interessieren uns, sondern der optische Wettstreit der Aussteller. Gilt jede Messe sowieso als Schlachtfeld kreativer Blickfänger und Lockmittel, so stellt die Farbenmesse das optische Nonplusultra aller Reklamefritzen dar. Wohin der Besucher guckt, überall bombardieren ihn optische Knalleffekte, seien es die Wassersäulen mit Luftblasen, im Regenbogenspektrum aufgereiht, seien es rote und gelbe Farbspritzer, die, mitten in der Luft im Zehntelsekundenbruchteil fotografiert, zu arabesken Skulpturen erstarren.

Wie soll man unter tausenden Farbtöpfen auf sich aufmerksam machen? Manch Anbieter verweigert sich der Farbe und rettet sich in stilvolles Schwarzweiß. Andere Stände greifen zu anderen Tricks. Etwa zur Carrera-Rennbahn. Da summen bunte Modellrennwagen herum und fliegen spektakulär aus der Kurve. Das Kind im Geschäftsmann kann nicht widerstehen und will mitspielen. Schon steht eine Konsole bereit und unter stetigem Schubsen und Überholen entspinnt sich ein nettes Verkaufsgespräch. So etwa bei einem mittelständischen Lohnhersteller und -abfüller.

Lohnhersteller? Der Begriff Lohntüte ist uns bekannt, aber ein Lohnhersteller? Druckt der etwa Papiergeld? «Nein, wir füllen Harze und Isocianate ab, das sind Härter und Verdünner. Und die kommen in Fässer, Flaschen oder Dosen ganz unterschiedlicher Größe, je nach Bestellung», erklärt Industriekaufmann in spe Michael Gramzow. Aber da hören wir nur noch mit halbem Ohre zu, das Autorennen ist doch zu spannend.

Die einen lenken Modellautos, die anderen lassen zwei Meter lange Zeppeline mit dem Firmenlogo steigen und durch die voluminöse Halle Ost trudeln. Beim Beobachten des Zeppelins fällt uns der Film «The International» ein, worin sich der Held mit einem Killerkommando ein Gefecht im ähnlich gestalteten Guggenheim-Museum liefert. Eigentlich passt unsere runde Messehalle mit ihren Galerien doch viel besser zu so einem Film. Wer weiß, welcher Reklame-Effekt als nächstes hier stattfindet?

Reklame ist eine anstrengende Sache. Manch Aussteller kennen wir bereits von der Mischtechnik-Messe. Zum Beispiel die Maschinen, die zähflüssige Melasse pumpen und über Kaskaden abtropfen lassen. Allerdings handelt es sich bei der blaubeerblauen, honiggelben, minzgrünen oder kirschroten Pampe nicht um irgendwelche Harze, sondern um Ultraschall-Gel mit Lebensmittelfarbe. Genau, diese kalte Glibbermasse, die der Doktor auf unseren Bauch schmiert, wenn er sehen will, ob wir schwanger sind oder sich etwas anderes im Bauch eingenistet hat.

Farbe und Lacken sind sensibel: So eine Pumpe hält problemlos aus, als Dauervorführgerät auf Endloskreislauf geschaltet zu sein. Der Werkstoff aber nicht. Die Lacke oder Melassen gehen bei Dauerumwälzung kaputt.

Das widerfährt auch den Geräten und ihren Beschichtungen irgendwann, durch Rostfraß. Bloß wann genau? Man kann so ein Teil einfach in die freie Natur legen und zusehen, was passiert. Man kann den Prozess aber auch beschleunigen, indem man das Probeteil in ein Korrosionsprüfgerät steckt.

Hält das Etikett auf der Bierflasche die Sonne aus?

«Lacke bestehen zum Teil ja auch aus Metallen», erklärt uns die Unternehmerin Kornelia Liebisch. «Da steckt man ein paar Bleche mit erprobten Lacken und ein paar Bleche mit neuen Lackverbindungen für ein paar Wochen in eine Truhe mit Sylter Klima, also Salzwasser und warmen Temperaturen, und schon sieht man, wie unterschiedlich anfällig die Lacke für Rost sind.» Solche Truhen sind heiß begehrt für die Qualitätskontrolle, noch mehr aber für Labor- und Forschungsabteilungen hochrangiger Konzerne, die mit Werkstoffen experimentieren.

Es müssen nicht immer nur Farben und Metalle sein: «Eines Tages wollte eine Großbrauerei so eine Korrosionstruhe von uns kaufen», erzählt Kornelia Liebisch. «Die wollten herausfinden, wie lange sich ihr Etikett auf der Bierflasche hält, wenn das Bier frisch aus dem Kühlschrank in der Sonne steht und das Kondenswasser herabrinnt.» Ein anderes Anliegen hatte Rolex. «Eines Tages stand eine Abordnung der Firma mit ein paar Wüstenscheichs vor unserer Tür. Die Scheichs beklagten sich, dass ihre Uhren rosteten. Also haben wir die Uhren unter Wüstenbedingungen untersucht. Am Ende stellte sich heraus: Die Araber haben einen ganz anderen Schweiß, als wir Mitteleuropäer. Und dieser griff die Uhren an.»

So eine Messe macht durstig. Da, ein Stand der Universität Paderborn. Dort stehen diverse Bowlen mit fruchtigem Gewässer und kaviarartigen Linsen darin. «Das ist Alginat», erklärt uns Master Student Jörg Ressel. Alginat? Etwa diese Pampe von zweifelhafter Konsistenz, die aus einem Röhrenglas in die Bowle plumpst?

«Genau! Und wenn sie in demineralisiertes Wasser fällt, verklumpt sie sofort, und bildet Linsen. Wenn sie das Wasser trinken, schmeckt es wie Sekt. Und wenn Sie auf eine Linse beißen, gibt es eine Geschmacksexplosion. Wollen Sie mal probieren?»

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