"Wir graben Wissen aus"
Größere Ausmaße als angenommen: Nürnberger Pestfriedhof birgt wissenschaftliche Schätze
30.7.2024, 18:32 UhrDie Aufregung war groß in Nürnberg, als der Nürnberger Pestfriedhof, der wohl größte seiner Art in Deutschland, vielleicht sogar Europa, entdeckt wurde - dort, wo eigentlich ein neues Pflegeheim entstehen sollte. Hunderte Nürnbergerinnen und Nürnberger wurden hier im nördlichen Stadtteil Sankt Johannis im 17. Jahrhundert eng an eng begraben, die Kinder zwischen die Erwachsenen gezwängt. Alles weist darauf hin, dass sie einer Pestwelle in den Jahren 1632 und 1633 zum Opfer fielen.
Doch jetzt, da die Ausgrabungen gen Ende gehen, scheint der Pestfriedhof weitaus größere Ausmaße anzunehmen, als zuvor angenommen. Von rund 700 Toten gingen die Archäologen damals aus. Nun ist die Zahl auf über 2000 gewachsen. Einige hundert Opfer liegen wohl noch verborgen unter der Erde. Die Forscherinnen und Forscher rechnen mit insgesamt zwischen 2800 und 3000 Toten.
"Wir graben hier keine Schätze aus, wir graben Wissen aus", sagt Melanie Langbein, Nürnbergs leitende Stadtarchäologin, schon zu Beginn der Ausgrabungen. Und das könnte für die Wissenschaft bahnbrechend sein.
Wichtige Erkenntnisse erhoffen sich Forschende nach Angaben von Langbein über die Entwicklung der Pest, denn aus den Zähnen der Toten könnte DNA des Erregers extrahierbar sein. Eine andere Forschungsarbeit rücke Darmparasiten in den Fokus, für die die Fachleute bereits Proben aus den Becken der Toten nahmen. Zudem interessiere sich ein Forensiker für Insektenreste aus den Massengräbern und will dadurch präzise Angaben über die Todeszeit bekommen, wie die Grabungsfirma "In Terra Veritas" in einem Video erläutert.
Aufschluss über den Lebensstil und die Gesundheit der Menschen im 17. Jahrhundert sollen die Knochen geben. "Wir haben wirklich von den Altersklassen alles mit dabei: Alte, Junge, Männer, Frauen, kleine Kinder, Säuglinge. Da ist der komplette Bevölkerungsquerschnitt vorhanden, und das macht die Sache dann auch so spannend, wenn es an die anthropologische Auswertung geht", erklärt Langbein gegenüber der "dpa". Man könne anhand der Knochen herausfinden, an welchen Krankheiten die Menschen litten, ob sie Mangelerscheinungen hatten, wie hart sie arbeiten mussten.
Ebenfalls spannend für die Forscherinnen und Forscher sind die noch erhaltenen Kleidungsreste. Leder, Wolle und Textilien verrotten sonst schnell im Boden, erklärt Langbein. Meist wurden die Menschen in der Kleidung, die sie gerade trugen und nicht im Leichenhemd, begraben. Das könnte Aufschluss über die damalige Mode geben, über die Kleidung der einfachen Leute. Und genau über diese alltägliche Mode sei weniger bekannt als über Festtagskleidung und Prachtgewänder, die zum Teil über Jahrhunderte erhalten geblieben seien.
Die Forschung stehe aber noch am Anfang, sagte Langbein. "Das ist ein Projekt, das sich sicherlich über mehrere Jahre ziehen wird." Jetzt stehe vor allem die Ausgrabung im Vordergrund, damit das Gelände möglichst bald für Bauarbeiten freigegeben werden kann. Auf dem rund 5900 Quadratmeter großen Grundstück sollen dann ein Pflegeheim und Wohnungen für Seniorinnen und Senioren entstehen.
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