Hauptbahnhof: Trinkerszene sucht sich jetzt Ausweichorte
18.6.2018, 11:10 UhrBereits Ende 2015 wurde die Szene von Stadt und Polizei rund um den Hauptbahnhof und in der Königstorpassage (Köpa) als Problemgruppe skizziert — mit konzertierten Maßnahmen der Behörden habe sich die Lage im Brennpunkt Köpa "deutlich entspannt", heißt es im Bericht für den Gesundheits- und Sozialausschuss, der am kommenden Donnerstag tagt. Allerdings verlagerte sich die Trinkerszene dann auf den Bahnhofsvorplatz vor dem Mittelausgang. Und nicht nur dahin. Sie hält sich mittlerweile auch in Parks und rund um Spielplätzen auf, aber auch an Eingängen vor Behörden oder Mietshäusern. Gezählt hat die alkoholkranken und teils obdachlosen Menschen bisher niemand. Doch gefühlt werden es mehr und mehr.
Das scheinen auch Zahlen des Polizeipräsidiums zu bestätigen. Aus dem Sicherheitsbericht der Polizei geht hervor, dass Gewalt unter Alkoholeinfluss im Gebiet des Hauptbahnhofs ein wachsendes Problem ist. Im vergangenen Jahr wurde der Höchststand von 176 Körperverletzungsdelikten mit alkoholisierten Tätern erreicht. "Nach wie vor bildet der Bereich des Bahnhofsplatzes den absoluten Schwerpunkt bezüglich der Begehung von Körperverletzungen im Bereich des Stadtgebietes Nürnberg", heißt es in einem Schreiben des Polizeipräsidiums an die Stadt. Mit Blick auf diese Entwicklung hat die für den inneren Bereich des Hauptbahnhof zuständige Bundespolizei am Wochenende verstärkt Personen nach Waffen durchsucht.
Die Grünen-Stadtratsfraktion regte im Juli vergangenen Jahres in diesem Zusammenhang an, betreute "Trinkräume" einzurichten, um Alkoholiker von der Straße zu holen. Derzeit sieht sich besonders die Wärmestube in der Köhnstraße, eine Einrichtung der Stadtmission, mit der vom Hauptbahnhof verdrängten Gruppe alkoholkranker Menschen konfrontiert. Im Ausschussbericht heißt es dazu: "Die Dominanz der Trinkerszene führt dazu, dass der ursprüngliche Auftrag der Wärmestube, Beratung über weitergehende integrative Hilfen, nicht mehr erfüllt werden kann. Aggressionen innerhalb der Einrichtung, meist ausgehend von alkoholisierten Besuchern, führen häufig zu problematischen Situationen, die nur unter Einsatz von Sicherheitspersonal bewältigt werden können."
Fachdienste wollen Konzept für "Trinkräume"
In den vergangenen Monaten hat das städtische Sozialamt die Szene näher untersucht, sich Informationen von Fachdiensten eingeholt und Einsätze von Streetworkern begleitet. Eine Erkenntnis der Behörde: Die auffallende Zielgruppe alkoholkranker Menschen im öffentlichen Raum sind überwiegend EU-Bürger aus dem osteuropäischen Raum. "Die Fachdienste beschreiben sie als Menschen, die sich im dauerhaften Überlebenskampf befinden, da sie keine Arbeit (mehr) haben, zum Teil auch ihre Unterkünfte verloren haben und von Notschlafstelle zu Notschlafstelle wandern oder auch draußen nächtigen", heißt es.
Um die Situation zu entschärfen, was mit Verdrängungsmaßnahmen der Polizei am Hauptbahnhof alleine nicht getan ist, und um die Wärmestube sowie deren Mitarbeiter zu entlasten, schlagen Fachdienste vor, ein Konzept für "Trinkräume" zu entwickeln und umzusetzen. Indes begrüßt auch das städtische Gesundheitsamt den Vorschlag und bietet seine Unterstützung an. Niederschwellige Aufenthalts- und Beratungseinrichtungen für alkoholkranke Menschen gibt es bereits in Städten wie Augsburg, Kiel, Hamburg, Dortmund, Hannover und Kassel. In den meist tagsüber geöffneten Trinkräumen dürfen in begrenztem Maße selbst mitgebrachter Wein und Bier, aber keine Spirituosen und Drogen konsumiert werden. Es gibt dort medizinische Sprechstunden und Infos zu Hilfs- und Beratungsangeboten für Suchtkranke.
Das scheint umso wichtiger, da neben der Polizei auch das städtische Ordnungsamt für eine zeitliche Ausweitung des Alkoholverbotes rund um den Hauptbahnhof ist. Bisher gilt noch die Regel: Von 22 bis 6 Uhr sind dort Bier, Wein & Co. tabu. Seit dem 25. Mai ist es nun möglich, das örtlich beschränkte Alkoholverbot auf bis zu 24 Stunden auszudehnen.
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