"Eingriff in die Meinungsfreiheit"
Heftige Kritik: Zensierte die Staatskanzlei Inhalte in einem Podcast der Stadt Nürnberg?
14.12.2024, 18:17 UhrUnter dem Titel "Wie gehen wir mit geflüchteten Menschen um" ist Johanna Böhm, eine Mitarbeiterin des Bayerischen Flüchtlingsrats, zu Gast im Podcast "KontaktAufnahme" vom Bildungszentrum der Stadt Nürnberg. Böhm spricht mit Moderatorin Hannah Diemer über die Migrationspolitik. Es geht unter anderem um die diskriminierende Bezahlkarte für Asylbewerbende, das stark in der Kritik stehende Amt für Migration und Integration der Stadt Nürnberg und die Politik der CSU.
Am 28. November 2024 erscheint der Podcast, allerdings ist die Folge zunächst nur sehr kurz online. Keine zwei Stunden nach der Veröffentlichung verschwand die Episode und war tagelang nicht mehr abrufbar. Böhm kontaktiert die Redaktion, will wissen, was mit dem über eine Stunde dauernden Gespräch passiert sei. "Ich habe dann die Antwort bekommen, dass die Pressesprecherin von Markus Söder sich wohl bei der Stadt Nürnberg gemeldet habe und daraufhin der Podcast eben erstmal offline genommen wurde", sagt Böhm erst dem "Bayerischen Rundfunk" und bestätigt dies auch unserer Redaktion.
CSU-kritische Passagen entfernt
Ab 3. Dezember ist der Podcast dann wieder auf allen gängigen Plattformen verfügbar - jedoch 13 Minuten kürzer. Pikant: Es wurden Gesprächsinhalte entfernt, die bei der CSU auf Kritik stoßen. Die Beiträge von Böhm über die Bezahlkarte und die dazu gestarteten Tauschaktionen waren nicht mehr zu hören. Bei diesen Aktionen kaufen Geflüchtete bei einem Supermarkt oder einer Drogerie einen Gutschein mit ihrer Bezahlkarte und können diesen dann bei den Aktionsbündnissen gegen Bargeld tauschen. In Nürnberg beispielsweise immer montags von 17 bis 19 Uhr im Desi Stadtteilzentrum. Diese Aktionen sind der rechtskonservativen CSU zu wider.
"Es ist auffällig, dass ausschließlich Kritik an der Migrationspolitik der CSU entfernt wurde, während kritische Aussagen zur Ampel-Regierung erhalten blieben", sagt Franziska Sauer vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Fühlt sich der Ministerpräsident durch den Podcast von zwei Personen, die sich über aktuelle Migrationspolitik unterhalten, so angegriffen, dass der nächste Schritt gleich ist, den erstmal herunterzunehmen?", fragt Böhm. Der Bayerische Flüchtlingsrat vermutet eine Einflussnahme von der Bayerischen Staatskanzlei.
"Entscheidung der Stadt Nürnberg fragwürdig"
"Sollte die Staatskanzlei tatsächlich Druck auf die Stadt Nürnberg ausgeübt haben, wäre dies ein gravierender Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit. Das wäre in einer demokratischen Gesellschaft inakzeptabel und entschieden zu kritisieren. Selbst ohne Einflussnahme der Staatsregierung, bleibt die Entscheidung der Stadt Nürnberg fragwürdig", sagt Sauer.
Darstellung des Flüchtlingsrats wird widersprochen
Die Bayerische Staatskanzlei hält sich bedeckt. "Die Zuständigkeit und Verantwortung für städtische Einrichtungen wie das Bildungszentrum liegt ausschließlich bei der Stadt Nürnberg. Es gab und gibt dazu keinerlei Anweisung der Staatskanzlei", heißt es lediglich von einem Sprecher auf mehrere Fragen von "BR24".
Die Stadt Nürnberg bestreitet laut "Bayerischen Rundfunk" eine Einflussnahme der Staatskanzlei und erklärt, die Streichungen seien im Sinne des Neutralitätsgebots und dem Beutelsbacher Konsens erfolgt. Der Konsens definiert Grundsätze für die politische Bildung von Schülerinnen und Schülern, demnach dürfen diese nicht mit einseitigen Meinungen konfrontiert werden.
"Eingriff in die Meinungsfreiheit" - weitere Aufklärung gefordert
Aus der Sicht des Bayerischen Flüchtlingsrats bot der Podcast ein differenziertes und erklärendes Gespräch. Die Behauptung, Teile des Interviews hätten gegen den Beutelsbacher Konsens verstoßen, erscheinen der Organisation vorgeschoben und wenig nachvollziehbar. "Die Frage bleibt, wie und warum es zu der Kürzung kam. Die öffentliche Diskussion über Flucht und Migration ist zentraler Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Die Änderung der Podcastfolge lässt befürchten, dass kritische Stimmen unerwünscht sind und unterbunden werden - eine bedenkliche Entwicklung. Wir sehen in diesem Vorgehen einen starken Eingriff in die Meinungsfreiheit."
Der Bayerische Flüchtlingsrat fordert von der Stadt Nürnberg und den Verantwortlichen auf Landesebene Aufklärung, unter welchen Umständen es zu den Kürzungen gekommen ist. Zudem regt die Organisation an, zukünftig demokratischere Wege im Umgang mit strittigen Inhalten zu beschreiten, die Transparenz und Dialog stärken, statt einseitige Entscheidungen zu treffen. Dass es Kürzungen und einen neuen Upload gab, wurde vom Bildungszentrum Nürnberg nicht deutlich gemacht.