Heiße Diskussion und steile Thesen beim Stadtgespräch
1.7.2016, 06:34 UhrDer Abend ist schon fortgeschritten, Ulrich Maly, der Nürnberger Oberbürgermeister, und Markus Söder, der bayerische Finanzminister, haben sich einige Zahlen um die Ohren geworfen, nochmal abgesteckt, wer wo in der Integrationsdebatte steht, als sich eine Frau meldet. Es mache ihr Sorge, spricht sie in das Mikrofon, wie sehr das Thema Flüchtlinge die Menschen spalte. Das sehe man doch auch hier, bei den Nürnberger Stadtgesprächen, die von der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus, dem Bildungscampus Nürnberg sowie den Nürnberger Nachrichten werden. Da gebe es die Söder-Fraktion und die Unterstützer Malys. Und kein Dazwischen.
Und Ulrich Maly - dieser Versöhner, der immer wieder und auch an diesem Abend angemahnt hat, wie wichtig eine Mäßigung der Sprache gerade in der Asyldiskussion ist - nickt. "Der Streit zwischen den Parteien beruhigt diese Stimmung nicht gerade." Da holt Markus Söder tief Luft. Es gebe nun mal große Probleme, die man ansprechen müsse, sagt er. Was ihm vielmehr Sorgen mache: "Wenn man in der öffentlichen Diskussion sagt, das ist alternativlos. Wenn man das den Bürgern immer sagt, dann suchen die sich eine andere Alternative und manche auch eine Alternative für Deutschland. Und das will ich nicht."
Maly nennt diese Angst Söders das "Franz-Joseph-Strauß-Theorem", die Furcht, dass sich rechts neben der CSU eine Partei etablieren könne. "Ich bin da nicht Ihrer Meinung" , sagt Maly. Er ist überzeugt, dass Söders Zuspitzungen die Stimmung im Land weiter aufheizen können.
Sorgen und Nöte aufnehmen
"Ungerechtigkeit muss man ansprechen", sagt hingegen Söder. Die Politik sei schließlich nicht dazu da, die Menschen zu erziehen, sondern die Sorgen und Nöte der Menschen vernünftig aufzunehmen. Aber übertreibe er da nicht manchmal, fragt Alexander Jungkunz, Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, der gemeinsam mit Kurt Heidingsfelder, dem Leiter der Leserbriefredaktion, die Veranstaltung moderiert. Man dürfe nicht blauäugig sein, antwortet Söder. Stichwort offene Grenzen: Die Flüchtlingsrouten seien auch von Terroristen missbraucht worden.
Political Correctnes sei etwas Schönes, aber nicht immer die Wahrheit. Und die müsse man ansprechen. Wenn nicht mehr die Wahrheit gesagt werde, dann dürfe man sich nicht wundern, dass die Menschen sich abwendeten. "Es muss mahnende Stimmen geben", sagt Söder. Und es ist klar, wen er damit meint. Sich selbst.
Und Maly zieht bei all diesen Worten die Augenbrauen etwas hoch, "mich bekümmert das manchmal", sagt er. Man arbeite sich an einem unsichtbaren Feind ab, den es gar nicht gebe. "Ich bin Sozialdemokrat, vielleicht auch Gutmensch, habe aber nie Sachen geschönt", sagt er. Er arbeitet stattdessen lieber mit Fakten, zitiert manche Studie, um seine Sache zu untermauern.
Menschen schnell in Arbeit bringen
Etwa eine des Nürnberger Insituts für Arbeitsmarktforschung: Demnach sind die Flüchtlinge zu 75 Prozent jünger als 35 Jahre. Da genüge schon eine relativ geringe Beschäftigungsquote und die Sozialsysteme könnten profitieren. "Daher müssen wir möglichst viele Menschen möglichst schnell in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bekommen."
Dass, bevor die Flüchtlinge einen Job im ersten Arbeitsmarkt finden, noch andere große Probleme warten, wissen sowohl Maly als auch Söder. Da ist das heikle Thema der Wohnungsnot. "Wir müssen bauen wie die Blöden", sagt Maly. Doch selbst dann werde es wohl die nächsten eineinhalb bis zwei Jahre schwierig bleiben. Welch sozialer Sprengstoff darin liegt, muss er nicht hinzufügen - besonders im günstigen Sektor konkurrieren anerkannte Flüchtlinge mit den sozial Schwächeren der Gesellschaft. Man habe aber immerhin zehn große Flächen identifiziert, die bebaut werden könnten mit bis zu 3.000 Wohnungen, erklärt Maly.
Der Spracheerwerb ist wichtig, da sind sich beide Diskutanten einig. Ebenso der Kontakt zur Bevölkerung, genügend Kita-Plätze und gutausgestattete Schulen. Aber, das betont Söder mehrfach: "Wer zu uns kommt, hat sich anzupassen und nicht umgekehrt." Eine Parallelgesellschaft darf es nicht geben. Maly sieht man an, dass ihm diese Zuspitzung wieder nicht gefällt, er entgegnet : "Integrationspolitik ist nicht nur Politik für eine Zielgruppe, sondern ist Stadtpolitik für alle." Und bei beiden Statements gibt es Applaus.
Leserbrief-Redakteur Kurt Heidingsfelder bringt es zum Schluss auf den Punkt: "Es ist völlig richtig, wenn man emotional diskutiert, aber auch wichtig, zwischendurch zur Seite treten und ein paar Fakten auf beiden Seiten anzuerkennen."
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