"Ich bin in ein Fass mit Zuversicht gefallen"

10.1.2013, 03:00 Uhr

Sind Sie ein Familienmensch, Frau Schmidt?

Schmidt: Ja, bin ich. Die Familie ist das, was mich trägt. Wenn in den 48 Jahren meiner Berufstätigkeit etwas Ernstes mit meiner Familie gewesen wäre, hätte ich zu jedem Zeitpunkt meinen aktuellen Beruf aufgegeben, um vor Ort sein zu können.

Gab es Momente, in denen sie darüber nachdachten?

Schmidt: Als 1984 mein erster Mann gestorben war, habe ich Gespräche mit der Firma Quelle geführt, wie lange sie brauchen, um für mich wieder eine vernünftige Stelle zu finden. Ich hatte keine Lösung für meinen jüngeren Sohn, der damals sechs war. Wenn mein älterer Sohn nicht mit seiner damaligen Freundin zu ihm zurück gezogen wäre, dann hätte ich die Politik aufgegeben. Die Familie war für mich das Wichtigste. Die Kinder haben das erkannt, auch wenn wir nicht darüber geredet haben.

Heißt das, im Zweifelsfall musste die Politik auch mal warten?

Schmidt: Bei meiner Tochter gab es mal den Verdacht einer schwereren Erkrankung. Ich war gerade im Auto, sie war am Boden zerstört. Ich bin an der nächsten Ausfahrt umgekehrt und habe meine Termine abgesagt. Ich war da, aber ich musste nicht auf jedes aufgeschlagene Knie ein Heftpflaster kleben. Das war auch nicht notwendig.

Sie sind mit 17 Jahren schwanger geworden. Wie hat ihre Familie darauf reagiert?

Schmidt: Wunderbar. Ich wusste von der Schwangerschaft naturgemäß vor meiner Mutter, aber sie hat mit dem untrüglichen Gespür einer Mutter gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und mich zum Frauenarzt geschickt. Ich bin natürlich längst dort gewesen. Irgendwann war es an der Zeit, reinen Wein einzuschenken. Ich kam nach Hause, die Badezimmertür stand offen, meine Mutter hat im Waschbecken Wäsche gewaschen. „Mutti, ich bekomme ein Baby“, habe ich gesagt. Sie antwortete: „Oh, Gott!“, und schlug die Hände vors Gesicht. Ich musste lachen, weil sie überall voller Schaum war.

Wie ging es weiter?

Schmidt: Am Abend hat sie es meinem Vater gesagt, und am nächsten Tag war von „Oh Gott!“ schon nichts mehr zu spüren. Auch mein Freund und dessen Familie standen zu mir. Ich habe nichts Negatives in diesem Zusammenhang erlebt. Sie mussten die Schule vorzeitig verlassen.

War das ein Problem für ihre Familie?

Schmidt: Ich hätte ja gar nicht weiter in die Schule gehen können. Ich hätte sie nur gerne freiwillig verlassen und nicht zwangsweise. Die Frage war: Wie geht es weiter? Zuerst wollte mein Mann nicht studieren, sondern eine Arbeit aufnehmen, um die Familie zu ernähren. Aber ich habe gemerkt, wie ihm das gegen den Strich ging. Dann habe ich mich auf die Stelle beworben, für die er sich vorgestellt hatte. Er war zuerst entsetzt, aber ich habe den Job bekommen. Es wäre nicht in Ordnung gewesen, wenn ich daran schuld gewesen wäre, dass er nicht studieren kann.

Hatten Sie damals Angst vor der Zukunft?

Schmidt: Nein, ich bin wohl in ein Fass mit Zuversicht gefallen. Ich hatte das Vertrauen, dass mir schon irgendjemand hilft, wenn ich etwas nicht kann. Ich hatte das Buch „Die Mutter und ihr erstes Kind“. Einmal habe ich geheult wie blöd, weil ich dachte, das Kind trinkt nicht genügend. Ich hatte mir in der Apotheke eine Waage geliehen, und nach dem Stillen war das Kind einmal leichter als vorher.

Aber mit der Zeit hat sich alles eingespielt. Wie sah mit 17 ihr Familienbild aus?

Schmidt: Ganz traditionell: Mutter bleibt zu Hause, versorgt die Kinder und den Haushalt. Vater geht hinaus ins feindliche Leben und wird im Beruf erfolgreich. Andersherum war es für mich unvorstellbar, so wurde ich erzogen.

Wodurch hat sich das verändert?

Schmidt: Das hat sich durch die Lebensumstände ergeben. Mir ist erst aufgefallen, dass etwas nicht stimmt, als ich am Samstag mit dem Staubsauger durch die Wohnung gerannt bin, und mein Mann gnädigerweise die Füße gehoben hat, als er zeitungslesend im Stuhl saß. Da dachte ich mir: Schmidt, spinnst du eigentlich! Du arbeitest die ganze Woche, versorgst das Kind, machst den Haushalt – und er studiert und liest Zeitung. Diese Auseinandersetzung hatten wir dreieinhalb Jahre später wieder, als er mit dem Studium fertig war. Da wurde plötzlich mein Beruf in Frage gestellt und seiner war wichtiger. Er war der große Zampano, hat mehr verdient als ich. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir aber nicht mehr vorstellen können, meine Berufstätigkeit aufzugeben.

Heute ist oft die Rede vom Zerfall der traditionellen Familie. Ist das ein Problem oder ist die Vielfalt eher ein Gewinn für die Gesellschaft?

Schmidt: Das ist unterschiedlich. Nicht jede Patchwork-Familie ist eine freiwillige. Nicht jede Alleinerziehende hat sich ihr Leben so vorgestellt. Aber dass die unterschiedlichen Formen akzeptiert werden, ist ein Gewinn. Ich glaube, dass Familie heute mehr Wertschätzung erfährt als zu der Zeit, in der sie normal war. Heute will eigentlich jeder Mensch Familie. Auch die, die keine haben. Wir hatten noch nie so viele Singles, für die das ein ständiges Lebensmodell ist. Aber auch sie wünschen sich, nicht alleine leben zu müssen.

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