"Ich finde, es läuft gut!": Lebensfreude trotz Multipler Sklerose
21.12.2020, 09:28 UhrDiesen Moment, in dem André Ringendahl ahnte, dass sich sein Leben für immer ändern wird, ist er in Gedanken wieder und wieder durchgegangen. Er kam damals, erinnert er sich, aus der Dusche. Er trocknet sich ab, er merkt: Komisch, die rechte Seite des Rückens ist taub. Er spürt bald, dass auch das rechte Bein taub geworden ist.
"Es wurde was gefunden"
Er geht zum Arzt, lässt sich im MRT durchleuchten, die Kernspintomographie erzeugt Schnittbilder seiner Organe. "Es wurde was gefunden", sagt er zu seiner Freundin, sie erwidert: "So lange es keine Multiple Sklerose ist, ist es in Ordnung". Die Diagnose: Es ist Multiple Sklerose. Eine chronische Autoimmunerkrankung, die unheilbar ist, bei der die Nervenstrukturen zerstört werden.
Er googelt und liest alles über Sehstörungen, intensive Schmerzen, Lähmungen, Bettlägerigkeit. "Damals habe ich mich gefragt: Warum trifft es mich?", erinnert sich der inzwischen 33-Jährige, "du bist doch so jung, du bist doch so sportlich!" Das Selbstmitleid mündete in der Erkenntnis, dass nicht nur er von der Krankheit betroffen ist. "Freunde und Familie müssen genauso damit klar kommen."
Fitnesstrainer und Führungskraft
Ringendahl ist immer noch sehr sportlich, er ist lizensierter Fitnesstrainer und Laufcoach, er macht Thai-Boxen und Zirkeltraining. Vor dem Lockdown hat er mehrmals in der Woche nach seiner Arbeit als Führungskraft bei Audi in Ingolstadt Kurse gegeben, im Fitnessstudio "Fryday" Auf AEG.
Neben dem Beruf studiert er BWL mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Das Lehrmaterial dazu liest er während seiner "Bummelzeit", wenn er im ICE nach Ingolstadt pendelt und wieder zurück. "Ich habe nur dieses eine Leben", sagt Ringendahl, "ich mache das Beste daraus."
Bleierne Müdigkeit
Er ist kein übermenschlicher Superman, natürlich plagen ihn MS-typische Beschwerden wie Schwindel und Fatigue, eine tiefe, bleierne Müdigkeit. Dann nimmt er sich zurück, ohnehin liegt er oft schon um 21 Uhr im Bett. Derart viel Sport eignet sich nicht für jeden MS-Patienten. Es gibt auch die Ansicht, dass Sport die Symptome verschlimmern kann, wenn man seine Leistungsgrenze überschreitet oder wenn es zu einem Wärmestau kommt. "Man muss auf seinen Körper hören und ehrlich zu sich sein", sagt Ringendahl. Er sei kein Fitnessfreak, "wenn ich das möchte, esse ich eine Pizza, ich quäle mich nicht ins Fitnessstudio".
Er versteckt die Krankheit nicht
"Dem Trend zur Selbstoptimierung zeige ich die Zähne", betont er, wohl wissend, dass die glatten Fotos auf seinem Instagram-Account eine andere Sprache sprechen. Auf dem wirbt er aber für seine Trainertätigkeit, schließlich eignen sich nicht alle Plattformen für seine Offenheit. Denn er versteckt die Krankheit nicht, auch seinem neuen Arbeitgeber in Erlangen wird er von der MS erzählen. "Ich bin ein Stehaufmännchen", sagt Ringendahl: "Ich habe schon viele Höhen und Tiefen erlebt: Meine Eltern haben sich getrennt, ich bin im Heim aufgewachsen. Und jetzt? Ich finde, es läuft gut!"
Multiple Sklerose: "Das Leben wird anders, aber nicht schlechter"
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