Gleichstellungsaktionsplan

Jeden zweiten Tag wird eine Frau von (Ex-)Partner ermordet: Das tut Nürnberg gegen häusliche Gewalt

Alicia Kohl

Volontärin

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20.9.2024, 18:56 Uhr
Häusliche Gewalt und Femizide werden oft nicht als großes gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Mit einem ausführlichen Plan will die Stadt Nürnberg das Thema jetzt konsequent angehen.

© IMAGO, Zoonar II/IMAGO, Bihlmayerfotografie Häusliche Gewalt und Femizide werden oft nicht als großes gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Mit einem ausführlichen Plan will die Stadt Nürnberg das Thema jetzt konsequent angehen.

Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden - jeden zweiten Tag ist er erfolgreich. Das sagt Hedwig Schouten, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Nürnberg. Trotzdem werden diese Morde oft als Einzelschicksale betrachtet. "Die alarmierenden Zahlen werden ignoriert und nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Und das ist ein großes Problem", erklärt Schouten unserer Redaktion. Auch deshalb werde so wenig gegen häusliche Gewalt und Femizide - also Morde an Frauen, weil sie Frauen sind - getan.

Dabei sind laut Bundesregierung mehr als 250.000 Menschen in Deutschland 2023 Opfer häuslicher Gewalt geworden, 70 Prozent davon sind Frauen, zu 75 Prozent Männer zu Tätern werden. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Betroffenen um 6,5 Prozent gestiegen. 155 Frauen und 24 Männer wurden 2023 von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. "Das ist nicht weit weg", betont Schouten, "Das passiert in allen gesellschaftlichen Kreisen."

Die Stadt Nürnberg will das Thema nun stärker angehen. Mit dem fünften Gleichstellungsaktionsplan sollen mit 92 Punkten geschlechterspezifische und häusliche Gewalt bekämpfen. Denn bislang sind Schutz- und Beratungsstellen für Betroffene, aber auch für Täterarbeit laut Schouten nicht ausreichend finanziert. "Das dringend notwendige Geld fehlt meist."

Awareness-Konzepte, Selbstverteidigungskurse und fehlendes Geld

Deshalb will die Gleichstellungsstelle der Stadt Nürnberg das Thema Prävention und Bekämpfung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt in den Fokus rücken und mit insgesamt 218 Maßnahmen, 92 davon spezifisch unter dem Motto "Gemeinsam frei von Gewalt", widmen. Zum ersten Mal wurden diese Punkte auch mithilfe der Bevölkerung erarbeitet. Bestehende Hilfsangebote sollen in der Laufzeit des Plans bis 2027 gestärkt werden. So will die Stadt Angebote wie "Extrastopp bei Nacht" und "Taxiruf an die Haltestelle" in Kooperation mit der VAG stärker bewerben. Viele wüssten gar nicht von dem Angebot, dass man nach 20 Uhr auch zwischen den Haltestellen aussteigen oder Taxis an die Zielhaltestellen rufen kann, sagt Schouten.

In Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Stadt Nürnberg sollen außerdem Awareness-Konzepte Besucherinnen und Besucher von Kultur- und Großveranstaltungen vor sexuellen Übergriffen und Diskriminierung schützen, im Fall von Übergriffen sollen Betroffene sofort und zuverlässig Hilfe bekommen. Auch Präventionsarbeit und Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse für Frauen sollen stärker in den Fokus rücken.

Finanziert wird der Großteil der Maßnahmen aus den Budgets der zuständigen Dienststellen der Stadt Nürnberg. Doch das reicht nicht. Gelder für beispielsweise Plakataktionen oder Präventionsangebote spezifisch für Jugendliche sind noch nicht gesichert. 30.000 Euro fehlen, sagt Schouten. Die sollen nun in die Etatberatungen für den Haushalt 2025 eingebracht werden. Sicher ist es also noch nicht, ob alle geplanten Maßnahmen auch finanziell umgesetzt werden können. Aber: "Ich hab den Zuspruch vieler Parteien gespürt und bin guter Dinge", so Schouten.

Instanbul-Konvention kann nur mit Mitteln vom Bund umgesetzt werden

Seit 2018 ist die Istanbul-Konvention geltendes Recht in Deutschland. Danach verpflichten sich die Mitgliedstaaten des Europarats, offensiv gegen alle Formen von Gewalt vorzugehen. Zentral ist hier geschlechtsspezifische Gewalt. Trotzdem haben die Kommunen nicht ausreichend Mittel, um das Thema angemessen angehen zu können, beklagt die Gleichstellungsbeauftragte. "Wie sollen die Kommunen das alles tragen?" Schulungen für relevante Berufsgruppen, ausreichend Beratungsstellen auf dem Land und Plätze in Frauenhäusern fehlen oder sind nicht ausreichend finanziert. Das gehe nicht ohne Mittel vom Bund. "Deshalb forderte ich, dass das Gewalthilfegesetz endlich verabschiedet wird", sagt Schouten. Das schafft einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung für Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt, das Vorhaben, das die Bundesregierung auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, stagniert aktuell aber. Viel Zeit zur Verabschiedung hat die Ampel vor den Bundestagswahlen 2025 nicht mehr.

Mit diesem Gesetz könnten unter anderem Frauenhäuser unterstützt und aufgebaut werden. Deutschlandweit fehlen 14.000 Plätze in Frauenhäusern, vor allem auf dem Land. Dadurch können Menschen, die Schutz suchen, nicht geschützt werden. Außerdem bräuchten vulnerable Gruppen, wie Frauen mit Behinderung, queere Menschen oder Frauen mit Migrationsgeschichte, laut Schouten mehr Unterstützung, die durch fehlendes Geld nicht gewährleistet werden kann.

Gleichstellungsaktionspläne der Kommunen wie der in Nürnberg sind also ein Schritt zur Bekämpfung von geschlechterspezifischer und häuslicher Gewalt, bundesweite Ansätze wie das Gewalthilfegesetzt sind aber dringend nötig, um Menschen umfassend zu schützen. Denn es ist 2024 und noch immer stirbt jeden zweiten Tag eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners.

Gewalt an Frauen geschieht meist im Verborgenen und hat viele Gesichter. Psychische, physische oder sexuelle Gewalt kann jede Frau betreffen. Stalking, Schläge oder Missbrauch sind oft nur ein Teil davon. Wenn auch Sie das Gefühl haben betroffen zu sein, können Sie die kostenlose Nummer des Hilfetelefons "Gewalt gegen Frauen" wählen. Unter der 08000/116016 haben Sie die Möglichkeit, rund um die Uhr anonym und vertraulich Kontakt zu Beraterinnen aufzunehmen. Die Beratung kann auch über einen Online-Chat oder per E-Mail erfolgen. Das Frauenhaus in Nürnberg erreichen Sie ebenfalls 24 Stunden am Tag unter der 0911/333915, das Frauenhaus in Fürth rund um die Uhr unter 0911/729008. Von Gewalt betroffene Männer können sich beim "Hilfetelefon Gewalt an Männern" unter der 0800/1239900 ebenfalls Unterstützung suchen.

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