Job als Stuntman: "20 Stunden täglich am Limit"
22.10.2015, 19:16 Uhr
Ein stillgelegtes Industriegelände am Rande von Nürnberg: Hier trifft sich Matthias Schendel mit seinen Jungs zum Training. Zum Aufwärmen springen Siggi, Igor und Conny vom Dach einer elf Meter hohen Lagerhalle auf ein Luftkissen. Während des Fallens machen sie Saltos als wäre es ein Kinderspiel. Unten verteilt Matthias Verbesserungsvorschläge und Lob — bevor er dann selbst auf das Dach klettert und sich in die Tiefe stürzt.

Das Highlight des heutigen Trainings aber ist der brennende Conny. Der Student und Nachwuchs-Stuntman darf seinen ersten Feuerstunt machen — eingepackt in einen speziellen, feuerfesten Anzug, mit Schutzbrille und Maske. Das Baumwollhemd darüber und seine Hose werden mit Benzin getränkt. Blitzschnell brennt er lichterloh. Fast 20 Sekunden lang, dann wird er von den Kollegen abgelöscht. Aufgeregt wie kleine Jungs schauen sich die durchtrainierten Männer das kurz zuvor gedrehte Video an: Conny torkelt, umzüngelt von Flammen, eine Treppe hinunter und fällt zu Boden. Die vier sind begeistert.
„Kein Training ähnelt dem anderen“, sagt Schendel. Ihre Übungseinheiten finden in verschiedenen Locations statt, teils mitten in der Nacht. Autostunts müssen sitzen, das Nachstellen von Motorradstürzen auch. Meist bereitet man sich aber gezielt auf anstehende Filmprojekte vor. Angst haben die Jungs dabei keine. Schendel nimmt niemals Aufträge mit unkalkulierbaren Risiko an. Die Sicherheit steht für ihn an erster Stelle. Nur deswegen kann er nach langer Zeit im Geschäft von sich behaupten, keine ernsthaften Verletzungen davongetragen zu haben.
Vor 21 Jahren gründete der gebürtige Nürnberger die Firma Vip-Stunts. Hauptberuflich arbeitete der gelernte Fotograf damals noch als Kameramann bei Franken Fernsehen. 2008 wagte er dann den Schritt. Er kündigte seinen Beruf und widmete sich ganz seiner Leidenschaft. „Es war mein Kindheitstraum, Stuntman zu werden. Meine Eltern haben es belächelt“, sagt der 39-Jährige. Trotzdem schickten sie ihren Jungen in zig Sportvereine um seinen Bewegungsdrang zu stillen. Sport wurde immer wichtiger im Leben des Teenagers und der Traum vom Stuntman erlosch nie. Mit 17 lernte Schendel einen Absolventen einer Stuntschule kennen, freundete sich mit ihm an. Über die Zeit sammelte er sich das nötige Wissen zusammen, besuchte Workshops. Und wurde besser.
Europaweit gebucht, hat er inzwischen bei zahlreichen Hollywoodproduktionen in Berlin mitgearbeitet. „Plötzlich stand Tom Cruise vor mir und begrüßte mich mit Handschlag“, erinnert sich der Nürnberger. Auch in der Villa von „Brangelina“ war er zu Gast, als er Brad Pitt für den Streifen „Inglorious Basterds“ doubeln durfte.
Heute hat er ein Dutzend freier Mitarbeiter und ist ausgelastet mit Geschäftsführertätigkeiten. Buchungsanfragen bestätigen, Stuntkoordiantionen ausarbeiten, Autos für Stunts ankaufen, Kostenvoranschläge an die Filmproduzenten schicken und und und . . .

Denn wer denkt, Stuntman sein beschränkt sich nur auf die Stunts an sich, der täuscht sich. „Es ist viel Mathe und Physik, wenn man Bremswege oder die Stärke von Explosionen ausrechnen muss“, sagt der Firmengründer. Die Autos baut er selbst um. Dafür hat Schendel eine Schweißerlehre absolviert und Baupläne und Kenntnisse aus dem Rallyesport übernommen. Auch Schauspielworkshops gehören dazu. Der Profi weiß, dass „es wichtig ist, immer in der Materie zu bleiben“. 99 Prozent sei die Vorarbeit, ein Prozent der Stunt. Für diesen bekäme man einen Batzen Geld, dürfe aber auch nie die Arbeit und das monatelange Training außer Acht lassen, dass dem vorausgehe.
Im Sommer ist Hauptsaison. „Manchmal bleibt mir gerade eine Stunde Schlaf“, sagt der Stuntman. Oft muss er die Nacht nutzen um zum nächsten Drehort zu gelangen. Eine Tatort-Produktion jagt die nächste. Und auch für andere Filme ist er mit seiner Firma quer durch Europa unterwegs. So etwas wie Wochenende kennt Schendel nicht. „Ich bin 250 bis 270 Tag im Jahr unterwegs — manchmal wache ich im Hotel auf und weiß gar nicht wo ich gerade bin. Es gibt keinen Alltag in meinem Job“, schmunzelt er. Er liebt es täglich mit Extremsituationen konfrontiert zu sein. „Der 20-Stunden-Tag macht mir nichts aus. Ich bin ein Idealist“, sagt Schendel.
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