Juden und Christen: Sie kämpft seit Jahren für mehr Verständnis

2.3.2021, 10:40 Uhr
Früher war sie das einzige jüdische Mädchen in Ansbach. Deshalb wurde Ruth Ceslanski in Schlangen sogar vorgelassen.

© Michael Matejka, NNZ Früher war sie das einzige jüdische Mädchen in Ansbach. Deshalb wurde Ruth Ceslanski in Schlangen sogar vorgelassen.

Eigentlich ist sie ein hoffnungsloser Fall. Das zumindest würde der Rabbi sagen, glaubt Ruth Ceslanski. "Ich gehe einfach zu selten in die Synagoge." Und doch investiert sie viel, um anderen ihren Glauben näher zu bringen.

Normal war von Anfang an nichts

Das passt zu ihrem gesamten Leben, das alles andere als normal abgelaufen ist, wie sie selbst sagt. Ruth Ceslanski wächst in Ansbach auf und ist dort das einzige jüdische Mädchen. Eine Exotin, das spürt sie. Manchmal lassen die anderen Kinder sie in einer Warteschlange einfach vor. "Du bist doch die Jüdin, oder?", fragen sie. "Wahrscheinlich haben ihre Eltern ihnen das so eingetrichtert", vermutet Ceslanski.


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Viele Gedanken macht sich das junge Mädchen aber nicht darüber. Auch nicht über ihren Glauben. Sie besucht den Religionsunterricht wie alle anderen Kinder, nur einmal die Woche kommt ein Rabbi aus Nürnberg, um ihr etwas über das Judentum beizubringen. Sie kennt die Feiertage, die Bräuche, "aber auch meine Mutter ist nie streng gläubig gewesen", sagt sie. Ruth Ceslanski wird es ebenfalls nicht.

"Ceslanski-Eck" gibt es noch

Vielleicht habe ihr dazu der Vater gefehlt. Er stirbt als sie zwei Jahre alt ist. Sein Nachname ist bis heute geblieben. Die Kreuzung, an der ihre Familie in Ansbach ein Geschäft für Zeitschriften, Zigarren und Zigaretten betrieben hat, wird noch immer von manchen das "Ceslanski-Eck" genannt. Obwohl Ruth Ceslanski seit mehreren Jahrzehnten in Nürnberg wohnt - und wie ihr älterer Halbbruder Rudi ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in der Stadt ist.

Ihre Bestimmung findet sie jedoch abseits der IKG. In einem Verein, der Vorurteile abbauen und Missverständnisse zwischen Juden und Christen überwinden will. Seit 70 Jahren lautet so das Ziel der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Franken. Schon immer gibt es drei Vorsitzende: einen katholischen, einen evangelischen und eben einen jüdischen. Seit 2014 übernimmt das Ruth Ceslanski.

Und das ehrenamtlich - "und unermüdlich", findet Siegfried Grillmeyer. Er ist Akademiedirektor im Caritas-Pirckheimer-Haus in der Altstadt. Für Ruth Ceslanski fast schon ein zweites Zuhause, so oft hat sie dort Veranstaltungen organisiert, egal ob Lesungen, Diskussionsabende oder Vorträge. Die meisten im Rahmen der jedes Jahr stattfindenden "Woche der Brüderlichkeit". Allein 2019 stehen 140 Veranstaltungen im Programm.

Die sind zwar nicht alle von der GCJZ organisiert. Der Verein hat aber durch seine Arbeit 25 verschiedene Initiativen und Einrichtungen miteinander vernetzt. Genau darin sieht Ruth Ceslanski die Aufgabe des Vereins: "Gegen Rassismus und Antisemitismus hilft nur Wissen." Je besser sich Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen verstehen, umso besser gehen sie miteinander um, davon ist sie überzeugt. "Wir sind alle nur Menschen", sagt Ceslanski, "egal welche Sitten und Bräuche wir haben".

"Religion ist etwas Privates"

Sie ist sich sicher, dass "junge Leute am besten von anderen jungen Leuten lernen". Trotzdem sind der IKG-Vorsitzende Jo-Achim Hamburger und sie jahrelang in Schulen marschiert, um mit Jugendlichen über Antisemitismus zu sprechen. "Religion ist aber etwas Privates, über das man sich leichter mit Gleichaltrigen austauscht."

Antisemitismus ist noch immer da, weiß Ruth Ceslanski.

Antisemitismus ist noch immer da, weiß Ruth Ceslanski. © Michael Kappeler/dpa

Dabei hilft der Wanderpokal, den ihr Verein Jahr für Jahr an eine Schule in Franken vergibt. Auch weil er besonders ist. Denn der Etz-Chaim-Pokal (hebräisch für Baum des Lebens) ist keine Belohnung für eine schon erbrachte Leistung, sondern ein Versprechen der Schüler, ihn sich zu verdienen.

Wer ihn bekommt, setzt sich ein Jahr lang mit der Verständigung zwischen Religionen auseinander. Egal, ob es um den Kampf gegen Rechtsradikalismus geht oder um das friedliche Zusammenleben der Völker und Religionen. "Die Schülerinnen und Schüler sollen begreifen, dass Demokratie und Freiheit nicht einfach so vom Himmel fallen“, sagt Ruth Ceslanski.

Basteln, Laufen oder Theater

Die Schüler sind kreativ. An der Hegelschule haben sie einen "interreligiösen Führerschein" entwickelt, die Maria-Ward-Schule hat mit 1000 Schülerinnen einen Etz-Chaim-Lauf durch Nürnberg organisiert. Theateraufführungen, Bastelaktionen - Grenzen gibt es nicht.