Kalenderblatt
Kalenderblatt vom 28. Dezember 1971: Die Gastarbeiter feierten
28.12.2021, 07:00 UhrVor allem Gastarbeiter, die über Weihnachten nicht in ihre Heimat hatten fahren können, folgten dieser Einladung zu Hunderten. Vom frühen Nachmittag an bis nach Mitternacht bevölkerten sie die Räume des Caritas-Pirckheimer-Hauses. Die drei Jugendorganisationen und ihre rund 30 freiwilligen Helferinnen und Helfer hatten Sorge getragen, daß es kein sentimentales Weihnachten wurde. Am Nachmittag vergnügten sich viele bei Pingpong und Kickern, während andere in popig gestalteten Räumen ihren – kostenlosen – Kaffee tranken und Christstollen verdrückten. Lediglich im Großen Saal, wo Filme über heimische Bräuche aufgeführt wurden, mochte sich gelegentlich ein bisserl Rührseligkeit breitgemacht haben, aber das sah niemand, es war ja dunkel. Und unüberhörbar dröhnte es bis in den späten Abend aus dem Keller herauf: dort war ein Raum in eine Diskothek verwandelt worden, die lautstark heiße Rhythmen verbreitete. Woraufhin eine stundenlange fröhliche Tanzerei einsetzte.
Nach dem Abendessen – auch das kostenlos, denn Nürnberger Firmen hatten die größten Kosten übernommen – ergriffen die spanischen Gäste die Initiative. Sie feierten, wie einer von ihnen versicherte, Weihnachten so, wie sie es von zu Hause gewohnt sind: mit ausgelassenem Tanzen. Bald schon erzitterte der Saal unter Flamenco-Schritten, und auch Nichtspanier kamen zuhauf, darunter ein gut Teil GIs, die diese Art der Weihnachtsfreuden dem Feiern in der Kaserne vorzogen. Sie bereicherten außerdem die kurze Liste der Getränke – Cola und Bier – um hochprozentige, selbstgemixte Drinks, die sie freigiebig jedem anboten. Im ersten Stock ging es ernster zu. Dort hatte sich eine türkische Kolonie zusammengefunden, die mit Inbrunst Weihnachtslieder in ihrer Landessprache sang, und das den ganzen Abend über. Aber auch die winzige Kapelle im Caritas-Pirckheimer-Haus war nie verwaist. Während dicht daneben, lediglich durch eine Mauer getrennt, die Spanier gekonnt eine Flamenco-Schau nach der anderen improvisierten, fanden sich in der Kapelle immer wieder Menschen ein, die des Heiligen Abends auf ihre Weise gedachten: sie knieten nieder und beteten still.
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