Karrierefrau und Familientier

10.1.2013, 03:00 Uhr

Frau Schmidt, würden Sie sich als Karrierefrau bezeichnen?

Schmidt: Ja, eindeutig. Ich habe Karriere gemacht. Und zwar aus Anfängen heraus, die niemanden vermuten ließen, dass ich überhaupt jemals so weit komme.

Gleichzeitig haben Sie sich aber auch einmal als „Familientier“ bezeichnet.

Schmidt: Ja, weil für mich die Familie in all den Jahren der größte Rückhalt war. Ich hätte meine Karriere zu jedem Zeitpunkt, wenn es notwendig gewesen wäre, aufgegeben. Meine Kinder haben immer gewusst: Wenn etwas Ernsthaftes ist, dann ist der Dienst vollkommen egal. Ich habe nicht nur einmal eine Besprechung verlassen, weil meine Kinder mich brauchten. Als mein Mann gestorben ist, war ich sogar so weit, meine politische Tätigkeit aufzugeben. Mein jüngster Sohn war damals 14 und ich hätte ihn niemals unter der Woche alleine zuhause gelassen. Aber dann sind mein älterer Sohn und seine Freundin wieder zu uns gezogen – und wir haben in einer WG gelebt.

Sie sind mit 17 Jahren schwanger geworden, mussten deshalb die Schule abbrechen. Hatten Sie damals Angst, dass damit die Entscheidung zwischen Kindern und Karriere gefallen war?

Schmidt: Über so etwas habe ich gar nicht nachgedacht. Natürlich habe ich am Anfang einen Schrecken bekommen, als das Kind unterwegs war. Aber dann haben alle – mein damaliger Tanzstundenherr und späterer Ehemann, meine Eltern und meine künftige Schwiegermutter – zu mir gestanden. Ich war ein ganz herkömmlich erzogenes Mädchen und habe mir vorgestellt: Jetzt kriege ich das Kind und dann bleibe ich zuhause. Es war nicht einfach, als ich 1962 nach dem Mutterschutz wieder an meinen Arbeitsplatz kam. Das war ein ziemlicher Skandal. Und auch als ich nach der Geburt des zweiten Kindes zurückkam, haben sie sich die Mäuler über mich zerrissen.

Wie haben Sie es im Alltag geschafft, Kinder und Beruf zu vereinbaren?

Schmidt: Indem ich von Anfang an wusste, dass die Kinder nicht nur eine Mutter, sondern auch einen Vater haben. Außerdem durch die Mithilfe beider Familien, vor allem meiner Schwiegergroßmutter. Sie war 75 aber noch rüstig und fidel. Ohne die Familie und meinen Mann hätte ich es nicht geschafft. Ich bin kein Übermensch.

Führte die Frage, wer auf die Kinder auzupassen hatte, in Ihrer Familie zu Konflikten?

Schmidt: Für meine Schwiegermutter und meine Schwiegergroßmutter war es selbstverständlich, dass sie sich um die Kinder kümmern. Wir mussten sie ihnen immer beinahe ein Stückchen entreißen. Es gab Konflikte – aber andere, als man vielleicht vermuten könnte. Ich musste bestimmte Dinge mit mir selbst ausmachen. Man kann nicht alles haben, wenn man im Beruf steht: Man kann nicht die Gewissheit haben, dass einem das erste Lächeln des Kindes gehört. Es kann sein, dass das der Urgroßmutter vergönnt ist. Auch den ersten Schritt des Kindes erlebt man als berufstätige Mutter nicht unbedingt mit. Das sind Dinge, mit denen man klarkommen muss. Ich habe diesen Preis gerne bezahlt, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass es damals so etwas wie Gleitzeit oder Teilzeitbeschäftigung in qualifizierten Beschäftigungen schon gegeben hätte. Das war in den 60er- und 70er-Jahren noch Zukunftsmusik.

Haben Sie einen wichtigen Tag im Leben Ihrer Kinder aufgrund Ihrer Berufstätigkeit versäumt?

Schmidt: Nein, ich habe mir für wichtige Ereignisse im Leben meiner Kinder immer die Zeit genommen. So etwas wie der erste Schultag fand nicht ohne Mutter und Vater statt. Auch wenn ich das Gefühl hatte, es kriselt, war ich da. Mein Beruf ist dann ein Stück weit in den Hintergrund getreten. Ich bin heute noch meinen Vorgesetzten dankbar, dass sie das akzeptiert haben, zu einer Zeit als es noch unüblich war.

Sie werden oft als Powerfrau bezeichnet. Glauben Sie, dass es für andere Frauen anstrengend ist, mit Ihnen verglichen zu werden?

Schmidt: Ja. Frauen wie ich, die Karriere gemacht haben, müssen erzählen, dass wir nicht schon so auf die Welt gekommen sind. Als ich das das erste Mal in der Datenverarbeitung bei Quelle war und nur Männer als Kollegen hatte, war ich absolut unsicher. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich bin bestimmt nicht mit Karacho durch sämtliche Berufe und Institutionen gefegt. Was für eine Angst ich vor meiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hatte! Ich habe zwei Wochen vorher nicht mehr geschlafen, hatte Magenschmerzen. Es war grauenhaft. Aber jeder Mensch, der ein bisschen gescheit ist und Fantasie hat, hat auch Ängste. Und Mut, das sind die überwundenen Ängste. Die Ängste überhaupt nicht zu kennen, das wäre kein Mut sondern Tollkühnheit.

Sie haben sich als Bundesministerin für den Ausbau von Kindertagesstätten eingesetzt. Hätten sie das auch ohne Ihre persönlichen Erfahrungen so gemacht?

Schmidt: Alle Frauen, egal welche persönlichen Erfahrungen sie haben, wissen, dass Kindertagesstättenplätze nötig sind. In der Zwischenzeit wissen das sogar auch ein paar Männer. Im Ressort Familie, Senioren, Frauen und Jugend geht es um Gesellschaftspolitik. Das erfordert viel Lebenserfahrung. Davon hatte ich als Bundesministerin ja genug in den unterschiedlichsten Bereichen. Ich war Mutter und Alleinerziehende, nachdem mein erster Mann gestorben war. Ich war beinahe schon im Seniorenalter, und ich war selbstverständlich auch mal jung. Ich konnte also zu allen Bereichen etwas sagen. Das hat mir in meinem Ressort garantiert nicht geschadet.

Worauf sind Ihre Kinder stolzer, auf die Mutter oder auf die Politikerin Renate Schmidt?

Schmidt: Das möchte ich lieber gar nicht wissen (lacht). Wenn die Kinder sagen: Wir sind stolz auf Dich, weil Du so eine gute Mutter bist, würde wahrscheinlich jede Mutter ein bisschen peinlich berührt schauen – und ich auch. Ich glaube aber, sie sind stolz auf mich. Manchmal finden sie mich aber auch merkwürdig, und wie alle Kinder haben sie ihre Mutter auch irgendwann mal als peinlich bezeichnet. Das sagen sie heute noch, wenn wir in einem Lokal sind und ich ungeduldig werde, weil die Rechnung nicht kommt.

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