Kaufmann, Kapitalist und kreativer Künstler
20.5.2014, 00:00 UhrDie Roman-Gestalt Joshua Cohn wird als Joshua Flederwisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts im östlichen Europa geboren. Ihr Schicksal in den folgenden Jahrzehnten muss leider in vieler Hinsicht als typisch angesehen werden. Dass es dem Schriftsteller Weglehner um die zusammenfassende Darstellung der erzwungenen Wanderschaft eines ganzen Volkes geht, zeigt nicht zuletzt der früher vielerorts fast als Synonym für Jude verwendete Name Cohn, den seine Hauptfigur nach harten Lehrjahren als jugendlicher Landstreicher annimmt.
Tatsächlich ist Cohn der international am weitesten verbreitete jüdische Familienname, vergleichbar etwa mit Meier oder Schmidt im deutsch-sprachigen Bereich. Auch der erste Jude, der in der Neuzeit, genau gesagt im Mai 1850, die Erlaubnis erhielt, sich in Nürnberg niederzulassen, war ein Mann namens Cohn. Ein in Prag lebender Nachkomme jenes Nürnberger Cohn adoptiert den jugendlichen Flederwisch, der nach seinem eigenen Verständnis erst dadurch ein „echter Cohn“ (gemeint ist: ein bewusster Angehöriger seines Volkes) wird.
Zwei streitende Seelen
In der Person des Joshua Cohn bündelt Willi Weglehner vieles, was in der Geschichte Europas das jüdische Element ausgemacht hat. Joshua ist nicht nur ein ungewöhnlich kreativer, mit einem erstaunlichen sozialen und psychologischen Einfühlungsvermögen gesegneter Kaufmann, sondern auch ein unkonventioneller, ganz aus der Intuition heraus schaffender Künstler.
Sehr schön schildert Willi Weglehner die zwei oft streitenden Seelen in der Brust des Joshua in einem zentralen Kapitel des vorliegenden Buches, in dem der Held sich während des Ersten Weltkrieges in Nürnberg aufhält. Er ist Gast und später Mitarbeiter seiner Nürnberger Vettern Martin und Richard, welche die Direktoren des damals berühmten Bankhauses Kohn sind. In diesem höchst einflussreichen Unternehmen, das seinen prunkvollen Sitz gegenüber vom Hauptportal der Lorenzkirche hat, gilt Joshua bald als finanztechnisches Wunderkind. Doch für einen richtigen Kapitalisten ist und bleibt er zu gefühlvoll.
Dass er gewohnt ist, seinem Gefühl zu folgen, rettet ihn und seine Familie nach dem Machtantritt der Nazis. Während Martin und Richard Kohn im Reich ausharren, bis es zu spät für sie ist, gelingt es Joshua, mit Frau und Sohn nach Palästina zu entkommen. Er erlebt die Gründung des Staates Israel, doch mit dem Herzen ist er noch lange nicht im gelobten Land angekommen. Mehr als die Mehrheit seiner neuen Landsleute belasten ihn die für die palästinensischen Araber verhängnisvollen Begleitumstände der Gründung des Juden-Staates. Im Alter hat Joshua Cohn durchaus etwas von einem biblischen Propheten und Warner. Seine Visionen von der Versöhnung der Völker und Religionen vermittelt er allen, die dafür offen sind, nicht durch Predigten und Weissagungen, sondern in Form von naiven Holzplastiken. Zumindest die Kinder scheinen ihn (zeitweilig) zu verstehen.
Willi Weglehner: Die Wanderschaft des Joshua Cohn. Mabase-Verlag, 233 S., 17,80 Euro.
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