Kinder schaffen ein abgefahrenes Kunstwerk
18.06.2017, 19:09 UhrDrei Stunden nach Beginn des Workshops ist das Kunstwerk fertig: Über elf mal zwei Meter Leinwand ziehen sich Kleckse und Farbflächen in Grün, Blau, Pink und gefühlt hundert weiteren Farben. An einigen Stellen ziehen sich Striemen über das Bild, ungerade Linien, wo die Farben sich anders mischen als beim Rest. Die zehnjährige Aisha kniet zufrieden neben der nassen Leinwand und verfolgt mit ihren Augen den Verlauf der Linien. "Hier ist einer quer drübergefahren", sagt sie und zeigt auf eine Stelle, wo eine mehr oder weniger gerade Spur sich deutlich abhebt.
Gefahren? Tatsächlich – das Bild ist entstanden, indem Kinder und Jugendliche mit Skateboards, Fahrrädern und sonst allem, was irgendwie rollt, über eine Leinwand gefahren sind, und diese so bedruckt haben. Das Ganze ist laut Künstlerin und Workshop-Leiterin Radka Tuhácková-Vogel "eine Verbindung von informeller Kunst, Bewegung, Druckverfahren, Zufallsprinzip und Handwerk". Der letzte Punkt wird zwar erst am nächsten Samstag wichtig, wenn die Teilnehmer im zweiten Teil des Workshops die riesige Leinwand in Stücke schneiden und auf Keilrahmen ziehen. Von den anderen Komponenten haben die Kinder und Jugendlichen allerdings jetzt schon einiges mitbekommen.
Drei Stunden zurück, der Workshop beginnt mit einer Vorübung. Auf Platten trägt Tuhácková-Vogel Farbe auf, die acht Teilnehmer verteilen sie mit einer kleinen Walze so gleichmäßig und dünn wie möglich. Bei manchen geht das schneller als bei anderen, einige der Kinder und Jugendlichen haben eine Behinderung, die das Werkeln schwieriger macht. Auf die dünne Farbschicht kommt ein Blatt Papier und darauf kann jeder malen, was immer er möchte. An den Stellen, wo der Stift auf das Papier drückt, haftet die Farbe an der Unterseite und beim Ablösen prangt die Zeichnung gedruckt auf der Rückseite.
"Oh cool, schau mal!", sagt Aisha begeistert zu ihrem Bruder Niko, als sie ihr Bild abzieht. Ihr nächstes Projekt, ihren Namen zu schreiben, entpuppt sich als schwieriger als die abstrakten Linien vom ersten Bild. Schließlich muss sie den in Spiegelschrift schreiben, damit er sich richtig abdrückt. Und der Buchstabe S ist besonders schwer.
Hilfe bekommen sie und die anderen unter anderem von Annette Weigand-Woop vom Türkisch-Deutschen Verein zur Integration behinderter Menschen (TIM) und von Christine Dotzauer vom Evangelischen Stadtteilhaus Leo in St. Leonhard. Seit 2016 veranstalten TIM und Leo zusammen regelmäßige Treffen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung. Ziel der offenen Gruppe ist es laut Weigand-Woop, gemeinsam Freizeit zu verbringen, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften aufzubauen.
"Mischen" possible
Die "Abgefahrene Aktionskunst" findet im Rahmen der Kinder- und Jugendkulturtage "mischen!" des Bezirks Mittelfranken statt. Auf große Plastikplanen am Boden dürfen die Kinder und Jugendlichen nach Herzenslust Farbe spritzen, kreuz und quer und ganz bunt, bis die Plane kaum mehr sichtbar ist. Anschließend kommt die Leinwand drauf. Und dann, getreu dem Workshop-Titel "Abgefahren", dürfen die Teilnehmer auf der Leinwand hin- und herfahren, mit Rollern, Fahrrädern, Skateboards und Rollstühlen.
Als am Ende alle zusammenhelfen, die Unterseite nach oben zu drehen, sind die Spuren sichtbar. Wo die Reifen Druck ausgeübt haben, hat sich die Farbe vermischt und verzogen – ein im wahrsten Sinne des Wortes "abgefahrenes" Kunstwerk.
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