Kirche wird digital: App aus Nürnberg bringt Gläubige zusammen
10.11.2020, 06:06 UhrEs gibt Innovationen in der Kirche, die dauern Jahrhunderte. Und es gibt diese eine kleine von einem Märzwochenende 2020. "Niemand von uns hätte das erwartet", sagt Raphael Mayer. "Es hat uns selbst erstaunt, wie viele Leute die App nutzen", sagt sein Bruder Maximilian. Mittlerweile schreiben ihnen sogar Menschen aus Kanada und Teneriffa, um mehr darüber zu erfahren.
Die Zeit der Corona-Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr bildet den Hintergrund für ein Projekt, das die beiden Brüder aus Nürnberg zusammen mit Freunden lancieren – und das in kürzester Zeit zu einem Start-up-Unternehmen heranwächst, nebenberuflich. Zu viert entschließen sie sich, am Corona-Hackathon der Bundesregierung teilzunehmen. Die ruft mit verschiedenen Sozialinitiativen zu dem virtuellen Großtreffen von Kreativen auf.
Sieger im bundesweiten Corona-Hackathon
Unter dem Motto "#WirVsVirus" ("Wir gegen das Virus") sollen die Teilnehmer binnen 48 Stunden vor ihren Rechnern Ideen entwickeln, die das soziale Miteinander während der Pandemie durch Digitaltechnik verbessern. "Es war ja Lockdown, niemand hatte etwas zu tun. Da haben wir halt mitgemacht", erzählt Raphael Mayer, Kommunikationsdesigner und Architekturstudent.
Die jungen Nürnberger, 24 bis 26 Jahre alt, treffen ins Schwarze: Ihre Idee gewinnt unter 1500 Einreichungen einen von 20 Preisen. "Meinegemeinde.digital" ist eine Online-Anwendung für Kirchengemeinden. Sie können damit Kontakt halten, informieren, vielleicht sogar Glauben vermitteln. Den Unterschied zu einer normalen Internet-Homepage beschreibt Maximilian Mayer lapidar: leichter bedienbar und weniger umständlich. "Auf Websites schauen die Leute halt nicht mehr."
Das ist beim "Nürnberg Digital Festival" geboten
Die App, die auf allen Endgeräten läuft, bündelt Termine, Ankündigungen, Texte, Bilder und Links. Man kann sich Inhalte vorlesen lassen, die Schrift mit einem Wisch vergrößern. Die Bedienung, beteuern die Brüder Mayer, soll simpel bleiben – die Großeltern und die Älteren in ihrer Heimatgemeinde, der Neuapostolischen Kirche Nürnberg-Mitte, dienen ihnen als Testpersonen. Man dürfe Senioren am Smartphone nicht unterschätzen, "es machen auch 83-Jährige mit".
Das christliche Gotteshaus an der Karlstraße zählt seit Frühjahr zu den ersten Nutzern von "Meinegemeinde.digital". "Den persönlichen Austausch kann nichts ersetzen. Aber die App hilft uns unheimlich gut dabei, gefühlt zusammenzubleiben", sagt Gemeindevorsteher Harald Rösler. "Plötzlich melden sich Leute, die seit 20 Jahren die Kirche nicht betreten haben."
Buchungssystem für den Gottesdienst
Er und ein Kollege bestücken das Portal mit Seelsorge- und Bibeltexten. Die wegen Corona erforderliche Registrierung für den Gottesdienstbesuch können sie über ein Buchungssystem in der App abwickeln. Zu Erntedank stellten sie Kinderzeichnungen aus den Familien in das Portal. Vorbei die Zeit der Telefonketten, WhatsApp-Gruppen und E-Mail-Verteiler. Den gedruckten Gemeindebrief haben sie ebenfalls abgeschafft.
Seit dem Frühjahr experimentieren Kirchengemeinden weltweit gezwungenermaßen mit kontaktarmen Begegnungen von Geistlichen und Gläubigen. Die Spreizung ist groß: von Telefonseelsorge über WhatsApp-Impulse und Freiluft-Andachten bis zu professionell produzierten Videogottesdiensten. Auch die ersten Apps gewinnen an Boden.
Software mit Baukasten-Prinzip
Was Haupt- und Ehrenamtliche trotzdem bremst, ist neben Datenschutz und mangelnder Digitalkompetenz der Dschungel der Kanäle. Die Evangelische Landeskirche in Bayern etwa empfiehlt ihren Mitgliedern, die landesweiten Plattformen um möglichst wenig "Insellösungen" zu ergänzen. Rechtlich wäre aber freilich jeder Pfarrer frei, sich mit neuen Programmen auszustatten, sofern man sie mit dem Bestand vernetzen kann.
"Es erstaunt uns ein bisschen, wie wenig Digitales in den großen Kirchen erst läuft", findet Maximilian Mayer. "Meinegemeinde.digital" beruht deshalb auf dem Baukastenprinzip, Nutzer können die Oberfläche auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Die Nürnberger, deren ehrenamtliches Team weiter wächst, sehen darin ein Gemeinschaftsprojekt. Als Nächstes sollen Kommentar- und Chatfunktionen dazukommen. "Langfristig ist es unser Ziel, dass wir noch das Management betreiben, aber andere Interessierte das Programm weiterentwickeln", sagt Raphael.
"Open Source" heißt das Prinzip solcher Jedermann-Software, bei der man keine Lizenzen erwerben muss, aber für Dienstleistungen bezahlen kann. 19,50 Euro verlangt "Meinegemeinde.digital" derzeit monatlich für die Bereitstellung. 48 Gemeinden im deutschsprachigen Raum haben schon gebucht, neuapostolische und die ersten evangelischen. Auf eine Konfession ist die Erfindung jedenfalls nicht festgelegt; der Anstoß sei damals sogar von einem muslimischen Gläubigen gekommen. Und: "Wir sehen das auch nicht nur als Corona-Ding", sagen die Macher.
Beim "Nürnberg Digital Festival" stellt sich "Meinegemeinde.digital" am Donnerstag, 12. November, von 12 bis 12.45 Uhr vor. Informationen und Tickets unter nuernberg.digital
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