Strafprozess
Kissen auf Kopf gedrückt: Pflegerin soll 94-jährige Schwabacherin misshandelt haben
1.2.2022, 16:42 UhrPflege verlangt jedem viel ab: Zu wenig Personal, Konflikte im Team, schwierige Patienten oder Bewohner. Wer ständig unter Druck steht, kann schnell aggressiv werden.
Hat ihre Arbeit, die ständige Konfrontation mit Alter, Krankheit, Leid und Tod auch eine 54-jährige Pflegekraft überfordert? Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth gibt Sofia T. "Ökonomin" als ihren Beruf an, doch in Schwabach hat die Frau mit der rumänischen und der ungarischen Staatsangehörigkeit ihren Lebensunterhalt als Altenpflegerin verdient, nicht als Wirtschaftswissenschaftlerin.
Agentur bekam nie Beschwerden
Als Pflegekraft hielt sich Sofia T. (die Namen der Betroffenen wurden geändert) regelmäßig zwei bis drei Monate in Deutschland auf, dann fuhr sie wieder in ihre Heimat zurück, so schildert ein Ermittler als Zeuge im Landgericht Nürnberg-Fürth.
Seit fünf Jahren wird die Frau von einer Agentur als häusliche Pflegekraft vermittelt, nur einmal sei eine Familie zwar nicht sonderlich zufrieden gewesen, doch Beschwerden über sie habe es nie gegeben.
Pflegenotstand und Kräfte aus Osteuropa
Der Pflegenotstand in Deutschland und die Geldnot vieler Menschen im Osten Europas hat ein Beziehungsgeflecht entstehen lassen, in dem der Bruch arbeitsvertraglicher Regeln und Mindeststandards regelmäßig stillschweigend akzeptiert wurde, von beiden Seiten - erst im Juni 2021 entschieden die höchsten deutschen Arbeitsrichter, dass die Agenturen auch Kräften aus Osteuropa (meist stehen sie als 24-Stunden-Pfleger zur Verfügung) für Bereitschaftszeiten den Mindestlohn zahlen müssen.
Pflegerin und Patientin lebten unter einem Dach
Für die Hauptverhandlung der 2. Strafkammer am Landgericht Nürnberg-Fürth wird eine Dolmetscherin benötigt, die Angeklagte spricht nur gebrochen Deutsch. Man könnte auch sagen, sie konnte die Menschen, die sie pflegen sollte, kaum verstehen.
Und doch lebte Sofia T. mit Maria H., der Seniorin, die ihr anvertraut war, im Rahmen der häuslichen Pflege sogar unter einem Dach. Die Räume der betreuten Wohneinrichtung in der Schwabacher Gutenbergstraße wirken hell und freundlich, vor den einzelnen Wohnungen verläuft ein Laubengang - und deshalb konnte die unmittelbare Nachbarin hören, wie Maria H. am 13. April 2021 gegen 7 Uhr wimmerte.
Geschlagen, gebissen und gewürgt
Die Fotografien der Einrichtung, die im Rahmen der Ermittlungen gemacht wurden, werden im Gerichtssaal an die Wand projiziert. Auch Bilder der misshandelten Maria H. werden betrachtet. Zu sehen ist eine blutüberströmte Frau, an einer Hand und an ihrem Hals wurde ihr die Haut weggerissen, die großen Wundflächen, so genannte Ablederungswunden, sind erschreckend.
Man kann sich den Schock des Sohnes vorstellen, als er damals gegen Mittag seine Mutter besuchen wollte und sie halbnackt in ihrem Bett fand - die Pflegerin habe sie umbringen wollten, weinte Maria H. Im Krankenhaus halfen ihr die Ärzte, doch die Angst konnten sie ihr nicht nehmen. Tagelang weigerte sie sich, zu essen und zu trinken. Sie hatte ihren Lebensmut verloren. Es sei nicht leicht gewesen, die hochbetagte Seniorin zu vernehmen, schildert der Ermittler.
Pflegerin behauptet ihre Unschuld
Trifft die Anklage zu, saß Maria H. am Morgen des 13. April auf ihrem Bett und versuchte, ihren Toiletten-Stuhl zu erreichen. Brachte dieser Alleingang die Pflegerin in Rage? Sofia T. soll sich regelrecht auf die Patientin gestürzt haben, sie schubste die hochbetagte Frau zurück ins Bett, biss ihr zweimal in den Hals, würgte sie, schlug sie und drückte ihr ein Kissen ins Gesicht.
Doch welches Motiv sollte Sofia T. für ihren Gewaltausbruch haben? Über ihren Strafverteidiger Philipp Schulz-Merkel beteuert sie ihre Unschuld, bekundet ihr Mitgefühl für die Familie. Sie habe keine Erklärung, wie es zu all den Verletzungen kam, wisse sie nicht. Sie hoffe selbst, dass nun die Wahrheit ans Licht kommt.
Tod der Seniorin als Folge der Misshandlungen
Der Ermittlungsrichter erließ damals Haftbefehl gegen Sofia T., die Kripo ermittelte wegen eines Tötungsdelikts. Kurz nach der Tat, Anfang Mai 2021, starb Maria H.; nun sollte die Rechtsmedizin klären, ob der Tod der Seniorin eine Folge der Misshandlungen ist.
Heute geht die Anklage von gefährlicher Körperverletzung mit schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen aus: Demnach ließ die Pflegerin freiwillig von ihrer Patientin ab, dass deren Verletzungen noch nicht tödlich waren, hat sie angeblich erkannt. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, hat Sofia T. fünf bis sieben Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten.
Täter - ein unbekannter Dritter?
In ersten Verhören hatte die Pflegerin behauptet, gegen 8 Uhr den Müll entsorgt zu haben, zu diesem Zeitpunkt sei Maria H. alleine in der Wohnung gewesen. Will sie damit einen unbekannten Dritten als Täter ins Spiel bringen? Die Ermittler fanden keine Spuren eines Einbruchs, auf den Hausnotruf hatte Maria H. nicht gedrückt.
Doch die Beamten der Spurensicherung entdeckten in einem Abstellraum außerhalb der Wohnung blutverschmiertes Bettzeug und das Nachtkleid von Maria H. - der Kragen wies Blutspuren auf, das Kleidungsstück war nach links gewendet. Indizien, die darauf hindeuten, dass jemand Maria H. das Nachthemd auszog. Gefunden wurde auch das Kopfkissen - und die Blutspuren darauf belegen, dass dieses Kissen mit Druck auf das Gesicht der alten Dame gepresst wurde.
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