Kommentar: Das Virus streikt nicht mit

Julia Vogl

Lokalredaktion Nürnberg

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29.9.2020, 14:46 Uhr

Dienstagmorgen herrscht Chaos am und rund um den Nürnberger Hauptbahnhof. Und das auch noch mit Ansage. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem die Infektionszahlen wieder steigen und gleichzeitig wieder fast so viele Fahrgäste in Busse, Straßen- und U-Bahnen einsteigen wie in der Zeit vor der Pandemie, ruft Verdi zu einem Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr auf.

Ganz nach dem Motto „ein Streik muss schmerzen“ nimmt man es bei der Gewerkschaft offenbar auch in Kauf, dass sich Menschen, die auf die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel dringend angewiesen sind, dicht an dicht in ein paar wenige Ersatzbusse quetschen, die die VAG dann doch noch bereitstellen konnte. Einfach mitstreiken können die Fahrgäste, die dringend zur Arbeit oder in die Schule müssen, schließlich nicht.

Das ist in Ordnung – zumindest in einer Welt ohne Corona. Streiks in den öffentlichen Verkehrsmitteln haben die Menschen in der Stadt schon immer getroffen. Ob man nun im eigenen Auto im Stau stand oder eine halbe Ewigkeit auf einen Ersatzbus warten musste – man war genervt. Aber man hatte auch Verständnis dafür, wenn Berufsgruppen, die nicht gerade zu den Spitzenverdienern gehören, ihren Forderungen nach mehr Gehalt, mehr Urlaub oder besseren Arbeitsbedingungen durch Streiks Ausdruck verleihen.

Angst vor Superspreader-Event

Mit dem Virus aber ist alles anders. Eigentlich könnten sich die Angestellten in den Verkehrsbetrieben glücklich schätzen – findet etwa manch ein Angestellter aus einer anderen Branche. Während dort nämlich krisenbedingt Stellen abgebaut werden, wird der öffentliche Nahverkehr sogar noch ausgebaut – mit entsprechenden Jobperspektiven.

Der Hauptkritikpunkt am Streik aber ist ein anderer: die Ansteckungsgefahr für die Menschen, die den Folgen des Arbeitskampfes nicht auskommen. Etliche Kritiker hatten am Dienstag schlichtweg Angst – vor einem Superspreader-Event. Wenn Fahrgäste wegen des Streiks dicht gedrängt an Haltestellen stehen, dann ist nämlich nicht davon auszugehen, dass das Virus freundlicherweise auch mitstreikt. Und nein, es macht auch keine Pause, nur weil der überfüllte Ersatzbus gerade im Stau steht.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Sorgen um eine mögliche Ansteckungsgefahr nicht bewahrheiten. Das Streikrecht ist ein hohes Gut, entsprechend darf ein Arbeitskampf auch schmerzen. Aber bitte nicht die Gesundheit anderer gefährden.

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