Krise naht: Corona-Folgen treffen Nürnberg

27.4.2020, 09:54 Uhr
Krise naht: Corona-Folgen treffen Nürnberg

© Foto: Günter Distler

"Das ist eine Situation, wie wir sie noch nie hatten", sagt Harald Riedel. Um bis zu 50 Prozent könnten die Gewerbesteuer-Einnahmen vorübergehend sinken, befürchtet der Kämmerer. Auch weil viele (vor allem kleinere) Unternehmen die Möglichkeit wahrnehmen, sich die Gewerbesteuer-Zahlungen stunden zu lassen. Eine gewaltige Größenordnung: Während der globalen Finanzkrise von 2007 büßte die Stadt etwa 20 bis 25 Prozent dieser Steuereinnahmen ein. Doch auch bei 50 Prozent bliebe die Kommune zahlungsfähig, ist Riedel überzeugt. Das habe vor geraumer Zeit ein Stresstest gezeigt, bei dem drei verschiedene Szenarien durchgespielt worden seien. Dann aber müsste sich die Stadt deutlich höher verschulden, mit längerfristigen Finanzfolgen.


Einkaufen trotz Corona: Das sind Nürnbergs Wochenmärkte


Auch die Eigenbetriebe und Stadt-Töchter verzeichnen aktuell zum Teil deutliche Umsatzeinbußen. Zum Beispiel die N-Ergie: Industrie-Stromkunden mit einem Jahresverbrauch ab 100.000 Kilowattstunden (kWh) nehmen derzeit 35 bis 40 Prozent weniger Strom ab, berichtet Unternehmenssprecherin Heidi Willer. Der Rückgang variiere stark nach Branchen: Bei Automobilzulieferern, deren Werke teilweise oder ganz geschlossen sind, sei der Stromverbrauch um 60 bis 70 Prozent gesunken; andere Bereiche, wie die Nahrungsmittelverarbeitung oder die Chemie, seien kaum oder gar nicht betroffen. Im Gewerbekundenbereich (unter 100.000 kWh/Jahr) dürfte der Absatzrückgang bei fünf Prozent liegen, sagt Willer.

Zwar verbrauchen die Privathaushalte aktuell bis zu fünf Prozent mehr Strom als sonst. Doch für eine Kompensation reicht dies längst nicht aus. Zudem haben die Strompreise an den Kurzfristmärkten deutlich nachgegeben, weshalb die N-Ergie aus dem Verkauf ihrer überschüssigen Strommengen "erhebliche finanzielle Verluste" erwartet, so Willer.

Oberstes Ziel: zahlungsfähig bleiben

Die VAG zählt derzeit gerade einmal 25 bis 30 Prozent der Fahrgäste, die normalerweise in den Bussen und Bahnen unterwegs sind. Besonders die Gelegenheitsfahrer fallen seit Wochen weg, berichtet VAG-Sprecherin Stefanie Dürrbeck. Seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen seien die Umsatzeinbrüche drastisch gewachsen. In der letzten Märzwoche etwa verbuchte die VAG ein Minus von rund 80 Prozent im Bar- und Onlineverkauf. Wie es weitergeht, so Dürrbeck, hängt stark von den Ausgangsbeschränkungen ab und von der Frage, wann sich das Leben wieder normalisiert.

Sehr ähnliche Voraussetzungen bestimmen auch den Verlauf des Geschäftsjahrs 2020 der Nürnberg-Messe. Einen Umsatz von rund 350 Millionen Euro hatte sich das Unternehmen vorgenommen. Angesichts zahlreicher nun verschobener beziehungsweise abgesagter Veranstaltungen sei dieses Ziel "definitiv nicht zu erreichen", sagen die beiden Geschäftsführer, Roland Fleck und Peter Ottmann. Wie weit das Ziel verfehlt werden wird, hänge davon ab, wann wieder internationale Fachmessen in Nürnberg und an den weltweiten Standorten der Nürnberg-Messe-Töchter stattfinden könnten. Und davon, in welchem Umfang die Kunden diese Messen dann wieder annähmen.

Wie viele andere Unternehmen auch muss die Nürnberg-Messe momentan darauf bedacht sein, zahlungsfähig zu bleiben. Deshalb werden derzeit in allen Bereichen Kosten gesenkt und Investitionen verschoben, so Ottmann und Fleck. Nicht zuletzt hat das Unternehmen erstmals in seiner Geschichte Kurzarbeit angemeldet, stockt aber die Kurzarbeit-Vergütung der Arbeitsagentur für die betroffenen Mitarbeiter auf 80 Prozent auf.

Im Klinikum Nürnberg steht die Hälfte der Patientenbetten leer, was Verluste von rund sechs Millionen Euro im Monat bedeutet. Nürnberg-Bad verliert aktuell mehrere Tausend Euro am Tag an Hallenbad-Eintritt. Ab 8. Mai sollten eigentlich die Freibäder nach und nach öffnen – bleiben sie zu, dann können sich die geschätzten Verluste auf bis zu 30.000 Euro am Tag steigern. Glimpflicher könnte der Tiergarten davonkommen, der Anfang Mai vielleicht wieder öffnen darf. Doch auch dann fehlt dort wohl ein fünfstelliger Euro-Betrag aus dem Ticketverkauf. Und dann das Max-Morlock-Stadion, der Hafen, die Noris Inklusion, der Flughafen...

Großprojekte stehen auf der Kippe

Einen ersten Überblick hat sich der Stadtkämmerer in der vorletzen Woche verschafft. Die Referate, Stadttöchter und Eigenbetriebe waren dazu angehalten, eine Finanzprognose für die Zeit bis zum Jahresende unter der Prämisse aufzustellen, das der jeweilige Betrieb bis dahin unter den Corona-Auswirkungen zu leiden hat. Die Eckdaten hat Riedel am Mittwoch im Ferienausschuss des Stadtrats vorgestellt. Nun gilt es zu überlegen, wie die Stadt auf die Ausfälle reagiert. Unter Umständen kommt es sogar zu weit greifenden Ausgabenstopps.

Denn schon jetzt ist klar, dass die Kosten, die das Corona-Virus der Stadt unmittelbar beschert hat, im ordentlichen Millionenbereich liegen. Das beginnt bei der Verstärkung der Sicherheitsdienste, die die seit Mitte März geschlossenen Schulhöfe überwachen sollen. Und das endet längst nicht mit der Beschaffung von Schutzmasken, Handschuhen, Desinfektionsmitteln et cetera für die Altenheime, das Klinikum oder das städtische Gesundheitsamt, was allein mit mehr als vier Millionen Euro zu Buche geschlagen hat. Nürnberg sei als eine der ersten Kommunen in Bayern in die Eigenbeschaffung gegangen, weil die Maßnahmen des Freistaats eher langsam angelaufen seien, sagt Riedel. Dabei habe die Stadt "bewusst nicht aufs Geld geschaut".

All dies könnte am Ende dazu führen, dass anstehende Großprojekte wie das Volksbad (geschätzte 50 Millionen Euro Kosten) oder das neue Konzerthaus (50 bis 75 Millionen Euro) zumindest verschoben werden müssen. Auch die künftige Entwicklung der Bauwirtschaft könnte hier eine Rolle spielen. Genaueres hofft Riedel bis zum Sommer sagen zu können. Mit dem neuen Stadtrat will der Kämmerer bis dahin eine Bestandsaufnahme erarbeiten. Auf deren Basis können dann Entscheidungen über Verschiebungen im Mittelfristigen Investitionsplan fallen. Dabei, so Riedel, müsse dann "alles auf den Prüfstand gestellt" werden.

Verwandte Themen


34 Kommentare