Lernziel: Muttergefühle

15.03.2007, 00:00 Uhr
Lernziel: Muttergefühle

© Gerullis

Wer hier wohnt, lebt in einem Orkan aus Stress und Gefühl. Zum Beweis hat eine Ehemalige beim Hausfest Auszüge aus ihrem Tagebuch ausgelegt. «Ich hab mein Baby endlich!», schreibt sie, damals 16. «Die Nächte sind eigentlich ganz angenehm. Habe es mir schlimmer vorgestellt, aber er ist das süßeste Baby, was ich überhaupt gesehen habe. Ich liebe ihn über alles!» Und ein paar Seiten weiter: «Zur Zeit ist es hier unausstehlich. Es gibt voll den Zickenkrieg. Fühl mich immer noch genauso beschissen. Sascha bekommt jetzt gerade Zähne. Er weint nächtelang. Hat Durchfall bis zum Umfallen. Es ist schrecklich, vor allem, wenn ich dann noch in die Schule muss.»

Die Frauen im Haus Anna, der Mutter-Kind-Einrichtung des Sozialdiensts Katholischer Frauen (SKF), sind oft selbst noch Kinder. Sie sind schwanger oder haben kleine Kinder - und sind in die friedliche Anlage mit Garten an der Leyher Straße gezogen, weil sie mit ihrer Rolle sonst nicht zurechtkämen. Sei es, weil Familie und Partner sie fallen ließen, weil sie Abtreibung und Adoption ablehnen oder weil die Schule und die Psyche sie überfordern. Im März 1997 gründete der SKF diesen Zufluchtsort für zwölf Frauen, speziell für Minderjährige. Er ist der einzige seiner Art in Mittelfranken geblieben.

Zwei Sozialpädagoginnen und drei Erzieherinnen, dazu Erzieherinnen in der hauseigenen Kinderkrippe, betreuen die Bewohner. Wissen über Erziehung und Haushalt vermittelt das Personal in Praxiskursen. Die Lernschritte - etwa Fläschchenhygiene, Küchenplanung, Verhütung, Behördengänge - mögen winzig erscheinen, sagt Johanna Diller, Sozialpädagogin und seit Beginn die Leiterin. Doch: «Die Bewohnerinnen kommen oft aus problematischen Familien, haben Gewalt als Erziehungsmaßnahme gelernt. Das zu ändern, geht nicht schnell.» In einem Drittel der Fälle, schätzt sie, gelingt es, auch die Eltern der Mütter ins Boot zu holen. Die Lebenspartner dürfen zu Besuchszeiten kommen.

Der Auszug in die Selbstständigkeit klappt im Durchschnitt nach eineinhalb Jahren. Den Aufenthalt hat dann in der Regel das Jugendamt bezahlt. 128 Frauen aus Nürnberg und Umgebung haben schon im Haus Anna gewohnt, mit 154 Kindern. Die Jüngste war 14, die Älteste 31 Jahre alt. Von 52 Mädchen weiß die Hausleitung, dass sie einen Schulabschluss nachgeholt haben, Rechtsanwaltsgehilfin oder Köchin geworden sind. Andere verschwinden wortlos, fallen in alte Muster zurück. Haus Anna ist kein Platz an der Sonne. Es gibt straffällige Bewohnerinnen, immer häufiger psychisch erkrankte, manche mit Missbrauchserfahrungen. «Katholisch» ist der Alltag hier nur insofern, als man im Umgang Respekt und Nächstenliebe anwendet.

Zu viel Behaglichkeit stünde ohnehin dem Lernziel «Eigenverantwortlichkeit» im Weg, das auf vielen Plakaten im Haus notiert ist. «Jeder hat hier andere Probleme», sagt Angelika Busch (19) nüchtern, eine von derzeit acht Bewohnerinnen. Deshalb findet sie auch die teilweise strengen Hausregeln gut. «Ich tu alles für mein Kind, damit ich hier ausziehen kann.» Den Quali hat sie in ihren eineinhalb Jahren im Haus Anna gemacht. Mit ihrem dreijährigen Sohn Nick hat sie umzugehen gelernt. Jetzt muss noch eine Lehrstelle her. Diesen Sommer könnte es klappen. Isabel Lauer

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