"Madame sind in Sarajevo"

15.07.2011, 15:00 Uhr

 Der Artikel weckte im NZ-Leser Harald Hesse Erinnerungen an seine Großmutter Eleonore, die zusammen mit Großvater Hermann eine Balkanfahrt unternahm. Das Fotoalbum und das Reisetagebuch blieben über 72 Jahre erhalten. Wir durften darin herumblättern.

Zwar besaß Großvater Hermann Hesse – nicht zu verwechseln mit dem schwäbischen maßlos überschätzten Schriftsteller – gleich zwei Wagen, doch setzte er sich nicht hinters Steuer. „Das überließ er komplett seiner Frau Lore, und die genoss das Fahren“, erinnert sich ihr Enkel Harald. Dafür erfüllten der Mercedes Benz Typ Stuttgart und der DKW ganz andere Zwecke: Hermann Hesse war in den zwanziger und dreißiger Jahren der führende Hersteller von Karbidlampen sowie für Kfz-Zubehör. Seine Autos dienten ihm als rollende Versuchskaninchen.

Einmal im Leben wollten Oma und Opa Hesse richtig groß verreisen. Nämlich auf den Balkan. Von Nürnberg über Wien, Budapest, Szeged und Belgrad nach Sarajevo und Mostar, um über Split und Venedig zurückzukehren. Der Zeitpunkt war rückblickend betrachtet der schier letztmögliche: April und Mai 1939.

Lore hat ihr Reisetagebuch ökonomisch geführt: auf der rechten Seite die Eindrücke und Vorkommnisse, auf der linken sämtliche Preise für Übernachtungen, Ausgaben, und Anmerkungen zu Hotel, Service und allgemeinem Betragen.

Nach dem bequemen Vorankommen auf der Reichsautobahn beginnt spätestens in Ungarn das Abenteuer:

„7. Tag: Reifenpanne an der Grenze. Györ Mittagessen. Kellner sprechen alle deutsch. Fahrt durch die Puszta. Weite Flächen, schwarze Erde, Getreide sehr hoch. Sehen überall die bekannten Ziehbrunnen vor jedem Haus und auch auf den Feldern. Bauernhäuser recht sauber. Grenzkontrolle sehr liebenswürdig und nichts kontrolliert.“

„10. Tag: Entzückende Trachten und Frisuren. Bestickte Strümpfe und Pantoffeln. Auf schlechter Straße (30 km) bis Novi Sad. In der Drogerie getankt, Inhaber telefonierte zur Bank, und dort bekamen wir, trotzdem schon geschlossen war, unser Geld.“

Aber dann: „13. Tag. Durch Serbien über sechs enorme Höhenzüge. Sind zwölf Stunden nur Kurven und Steigungen gefahren, für Fahrer und Wagen eine starke Belastung. Wir waren froh, als ein Polizist uns sagte: Jawohl, Madame sind in Sarajevo. Den letzten Höhenzug mussten wir bei Nacht fahren und um halb zehn Uhr kamen wir in Sarajevo an. Sofort zu Bett.

Hier in Sarajevo ein buntes Leben. Türken, Mohammedaner, Bauern in bunter Tracht, Bauernfrauen mit Pluderhosen, zerlumpte Bettler, offene Werkstätten, alles spielt sich auf der Straße ab. Viel verschleierte Frauen.“

Höflichkeit ist eine Zier. Das zeigt sich auch darin, dass man die Touristen nicht nur in deren Muttersprache begrüßt, sondern auch die neumodischen Grußformeln übernimmt: „16. Tag: Auf den Höhen nach Mostar ein heftiger Sturm – ganz kahles Gebirge – armselige Gegend, Karstgebiet. Zum ersten Mal wurden wir mit erhobener Faust begrüßt, aber auch sehr oft mit ,Heil Hitler‘.“

Dann brach der Krieg aus und mit dem Reisen war es vorbei. Hermann Hesse bot noch einmal seinen Erfindungsreichtum auf. „Seinen Rotweinvorrat vergrub er im Innenhof der Fabrik“, erzählt sein Enkel Harald. „Als die Amerikaner anrückten, mauerte er den Mercedes einfach in der Garage ein.“ Beim DKW ließ sich Hermann Hesse von Platens „Grab im Busento“ inspirieren: Den DKW stellte er in die Remise auf dem Land, montierte alle Räder ab, legte den Dorfbach trocken, vergrub die Räder im Bachbett und flutete sodann das Versteck. Die Amerikaner fanden nur einen Wagen ohne Räder, zogen wieder ab und Lore Hesse durfte wieder Auto fahren.
 

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