Männliche Besucher sind nachts verboten

17.09.2007, 00:00 Uhr
Männliche Besucher sind nachts verboten

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Der Fernseher läuft. Wir starren auf den Bildschirm, denn es sind die entscheidenden Minuten, die den Filmausgang bestimmen. Doch dann klopft es. Keiner will den Film unterbrechen. Christian Skuza (25) aus Mecklenburg-Vorpommern bleibt vor dem Fernseher auf dem Teppichboden liegen und auch die neben ihm sitzende Andrea Schmidt (20) aus Fargo, North Dakota, will nicht aufstehen. Also öffne ich, nichts Böses ahnend, die Tür. Es ist unser Residence Assistant, Kristle Moen, die für unsere Apartments zuständig ist. Wer im Wohnzimmer ist, will sie wissen und kommt dann einfach rein.

Jetzt ist es fünf nach eins, und als sie Christian sieht, gibt es Ärger. Sie zückt Block und Stift und sagt, dass sie jetzt einen Bericht schreiben muss, der an die Collegeverwaltung weitergeleitet wird. Denn Besucher des anderen Geschlechts sind nach ein Uhr nachts am Concordia College, einem privaten College der amerikanischen, evangelisch-lutherischen Kirche verboten. Der Grund dafür heißt Intervisitation, eine Regelung, die ich für einen Scherz gehalten hatte.

Studentin lauscht an der Tür

Verbote können, wie wir schnell herausfinden, richtig teuer werden. Zu den 25 Dollar Strafe kommt noch, dass wir drei uns einzeln mit einem Collegeangestellten über den Vorfall unterhalten sollen. Wir erfahren auch, dass die Studentin täglich um ein Uhr nachts auf ihrem Rundgang an den Türen lauscht, ob sie Stimmen hört, die nicht in das jeweilige Zimmer gehören.

Aus diesem Grund findet sie uns das zweite Mal im Keller in der Waschküche, die mit Ausnahme des Treppenhauses der einzige Raum im Haus ist, in dem sich Studentinnen und Studenten nach ein Uhr nachts gemeinsam aufhalten dürfen. Zwischen Waschmaschinen, Trockner und zwei Heizkesseln eingekastelt, sitzen wir auf Klappstühlen und essen Pizza. Andrei Stratulat (22) aus Rumänien hat aus Platzgründen auf einer Kiste, in der Klopapier verstaut ist, Platz genommen. Links von ihm sitzt Daniel Ram (20) aus Guyana, zu seiner Rechten Christian und neben Christian sitze ich.

Prompt kommt, als wir Pizza essen, kurz nach eins, Kristle, die ich heimlich die Stasi nannte, und zeigt sich sehr verwundert über die Versammlung in der Waschküche. Sie ist froh, dass sie dieses Mal nicht Block und Stift braucht. Concordia College stellte mich vor unvorhergesehene Schwierigkeiten. Wo war das Amerika geblieben, das ich vor vier Jahren an der Monadnock Regional High School kennengelernt hatte?

New Hampshire, im vergangenen Wahlkampf Kerry Country, war mein Amerika. Inmitten grün bewaldeter Berge leben freundliche, liberale Menschen. So kannte ich Amerika. Das war das Land, wo ich mein Auslandssemester verbringen wollte.

Sehr schnell, schneller als mir lieb war, wurde mir bewusst, dass Minnesota oder North Dakota nicht New Hampshire sind und die Vereinigten Staaten sehr viele unterschiedliche Facetten aufweisen.

An einem Sonntag waren meine russische Mitstudentin Zhanna Budenkova und ich in Downtown Fargo unterwegs. Als sie mich dort auf der Straße spontan umarmte, kam ein Mann herbeigelaufen, der uns anbrüllte und sagte, dass wir schleunigst unsere Beziehung beenden sollten. Dieses Verhalten passte überhaupt nicht zur sonstigen amerikanischen Freundlichkeit und überraschte uns dermaßen, dass wir vor Sprachlosigkeit nichts erwiderten.

Nach gut einem Jahr in den USA und dem Besuch von 23 Staaten wurde mir klar, dass Amerika unglaublich viele Gesichter hat. Ostküsten-, Westküsten-Mentalität und die des Mittleren Westens unterscheiden sich stark voneinander. Zum Teil so enorm, dass der Unterschied größer ist, als zwischen manch europäischem Land und seinem Nachbarland. Beispielsweise dürfen in Vermont gleichgeschlechtliche Paare heiraten. In Minnesota hingegen ist nackt schlafen gesetzlich verboten. Auch die Vielfalt der Lebensformen ist größer als in Deutschland.

In Kalifornien leben immer noch Hippies

In Kalifornien, in Teilen North Carolinas und Arizona leben Hippies. Ja, es gibt sie wirklich. Sie tragen Dreadlocks, Ketten mit Holzperlen und bunte Kleidung und sind meist sehr freundlich.

Ich, die die Hippies nur aus Fernsehen oder Geschichtsbüchern kannte, war in San Francisco auf einmal unter ihnen. Viel überraschender war aber, dass ein einheimischer 32-jähriger Kalifornier mich für einen Hippie hielt. Er nannte mir die Merkmale, an denen er mich als Hippie erkannt hatte. Ich trug ein rotes, mit Blumen bedrucktes Kleid, hatte sein Lächeln erwidert und machte einen entspannten Eindruck. Er war sehr interessiert, mir die Love and Peace World näher zu bringen, wobei die Betonung für ihn auf Love lag. Er merkte aber schnell, dass ich weder die Drogenszene noch freie Liebe für besonders reizvoll hielt. Ich wiederum begriff, dass besagtes Kleid in San Francisco lieber im Koffer bleiben sollte.

Lebensart und politische Ansichten sind in den Vereinigten Staaten ein weites Feld. Nicht jedermann liebt Bush, und tatsächlich treffe ich auf viele Menschen, die sich massiv über ihn beklagen.

In Asheville, einer sehr liberalen Stadt, die in den Blue Ridge Mountains liegt, demonstrieren Kriegsveteranen gegen den Präsidenten. Ihre Plakate fordern zum Hupen auf, wenn man dafür ist, dass Bush seines Amtes enthoben werden soll. Hier leben Hippies, und Aufkleber mit Sprüchen haben Hochkonjunktur. Auf den Stickern, von denen sich häufig mehrere auf einem Auto befinden, stehen Sätze wie «Bush is a liar».

Mein Auslandsjahr über dem Teich hat mich um viele Erfahrungen reicher gemacht. Die Dimensionen des Landes, seine ethnische und kulturelle Vielfalt, lassen sich kaum begreifen.

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