Mehr Wertschätzung gefordert: Aktionswoche "Take Care" zu Sozialen Berufen
8.6.2021, 06:00 Uhr„Take Care“, Pass auf, heißt die Aktionswoche, die Sie und Ihre Hochschule mitgestalten. Worum geht es?
Barbara Städtler-Mach: Ich habe mich zum x-ten Male geärgert, dass im Hochschulbereich die sogenannten MINT-Studiengänge (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ständig im Gespräch sind und gefördert werden, wie zum Beispiel im Rahmen der Hightech Agenda Bayern. Ministerpräsident Söder ist der Meinung, dass wir in den Bereichen weltweit in Führung gehen müssen - das verstehe ich. Aber: Wir leben nicht nur von selbstfahrenden Autos und erneuerbaren Energien. Ich möchte, dass die Pflege, Bildung und das Soziale genauso vorrangig behandelt wird. Es geht uns in der Kampagne darum, diese Berufe zu befeuern.
Was haben Sie alles geplant?
Städtler-Mach: Wir haben ein respektables Programm auf die Beine gestellt. Die Aktionswoche soll dabei nur der Auftakt sein. Wir möchten, dass „Take Care“ das ganze Jahr über im Bewusstsein ist. Unternehmen, Einrichtungen und Institutionen sind zum Mitmachen eingeladen. Wir als Evangelische Hochschule Nürnberg stehen für die akademisierte Seite der Pflege-, Sozial- und Bildungsberufe und wir machen in unserem Programm deutlich, was wir anbieten, wofür wir arbeiten, mit welchen Themen wir uns hier beschäftigen.
Warum sind die Berufe in diesen Bereichen immer noch so unattraktiv?
Städtler-Mach: An erster Stelle wird da ja oft das Einkommen genannt. Doch die Menschen die diese Berufe ausüben, haben eine andere Motivation als den Gehaltszettel. Ein anderer Punkt ist wichtig: Die Rahmenbedingungen. Familienfreundlichkeit ist da ein schwieriger Punkt aber auch die Wertschätzung fehlt. Die Menschlichkeit fehlt da ab und an.
Wie meinen Sie das?
Städtler-Mach: Das ist ein Punkt, den ich gerade im akademischen Bereich sehr kritisiere. Für meine eigenen Kinder soll es bitte die besten Erzieherinnen und Erzieher geben, für meine eigenen Eltern bitte die beste Pflege. Aber meiner Tochter rate ich dann doch lieber, Ärztin als Krankenschwester zu werden. Da sehe ich einen Bruch zwischen den eigenen Ansprüchen an eine Dienstleistung und der Bereitschaft sie wirklich zu respektieren.
Hat sich der Stellenwert der Pflege durch Corona verbessert?
Städtler-Mach: In der ersten Welle waren die Pflegekräfte die Helden der Nation, es wurde geklatscht, Lieder gesungen, es gab ein bisschen mehr Geld und dann war das auch schnell wieder vorbei. Ich glaube in der Gesellschaft ist schon angekommen, wie wichtig ein funktionierendes Gesundheitssystem ist. Bei vielen hat sich bestimmt auch die Schwerpunktsetzung geändert. Das sind die, die glücklich sind, dass sie gesund durch die Zeit gekommen sind.
Und auf politischer Seite?
Städtler-Mach: Da ist schon auch etwas angekommen. Der Punkt ist nur: Die Verhältnismäßigkeit stimmt nicht. Egal wie die Politik die Decke hinschiebt, der Tisch ist nicht ganz bedeckt. Für die Wirtschaft, nehmen wir als Beispiel die Lufthansa, wurden in kürzester Zeit Milliarden-Schirme aufgespannt. Und was kostet uns das Soziale? Was kostet die Bildung? Da gibt es bei uns eine Schräglage. Wir leben in einem Sozialstaat. Nur wird eben der soziale Bereich nicht in dem Maße wertgeschätzt, wie es sich gehört.
Ist die Akademisierung ein Schritt in die richtige Richtung?
Städtler-Mach: Auf jeden Fall. Deutschland steht beispielsweise im europäischen und auch im weltweiten Vergleich mit seiner reinen Berufsausbildung in der Pflege nicht nur ganz hinten an, sondern ist fast ein Einzelgänger. In unseren Nachbarländern wird die Pflege wirklich studiert. Sie hat einen anderen Stand, ein anderes Selbstwertgefühl, eine andere Bezahlung. Die Akademisierung brauchen wir für den Weg aus der prekären Beschäftigungslage, die Berufe müssen wieder lebbar sein. Natürlich kann man sagen, „Nur dass sich die Beschäftigten besser fühlen und mehr verdienen muss man ja nicht gleich neue Studiengänge einführen”. Aber es soll eben auch eine andere Tätigkeit sein, die sich mit den Ausbildungen ergänzen.
Wo läuft es denn besser?
Städtler-Mach: Der Klassiker ist natürlich Skandinavien. Hier an der Hochschule haben wir auch Kooperationen und Austauschprogramme mit den USA. Die amerikanischen Studierenden, die hier Pflegeeinrichtungen besucht haben waren völlig perplex, wie wenig selbständig die Pflegekräfte hier arbeiten. Wir könnten da viel mehr rausholen. Ein großes Thema ist auch die ambulante Pflege. Jeder weiß, dass wir gerade auf dem Land viel zu wenig medizinische Versorgung und Hausärzte-Mangel haben. Wenn man die Pflegekräfte entsprechend qualifiziert, könnten sie dort viel mehr Aufgaben übernehmen.
School of Health in Nürnberg: Hier werden qualifizierte Pflegekräfte ausgebildet
Um den Fachkräftemangel auszugleichen kommen viele Menschen aus dem Ausland. Das wird als gute Lösung verkauft. Ist sie das?
Städtler-Mach: Diesen Aufwand könnte man sich meiner Meinung nach sparen. Die Leute aus ihrem Land abzuziehen, ist doch auf die Dauer keine Lösung. Man stopft damit hier die Löcher und in ihren Heimatländern entstehen sie. Das sehe ich schon kritisch, denn dahinter steht die schlichte Erkenntnis: Wir schaffen es in unserem Land nicht, Menschen zu rekrutieren, die wir für den sozialen Bereich brauchen.
INFO: Die bundesweite Aktionswoche „Take Care! Zur Attraktivität sozialer Berufe“, die vom 7. bis 13. Juni 2021 läuft, möchte auf die momentane Situation der Berufe im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich aufmerksam machen. Ins Leben gerufen wurde die Kampagne von der Diakonie Deutschland mit Unterstützung vieler kirchlicher Hochschulen, Verbände, Institutionen und Unternehmen. Die Evangelische Hochschule Nürnberg (EVHN) legt den Fokus auf die Professionalisierung der akademischen Qualifikationen und bietet mit Vorträgen, Diskussionen und Fachtagen ein umfangreiches Programm zu Themen wie Heilpädagogik, Kindheitspädagogik, Soziale Arbeit oder der Gesundheitsförderung in der Metropolregion Nürnberg. Das komplette Programm finden Interessierte hier. Im Zuge der Aktionswoche wollen die Organisatoren mit einer Petition bessere Arbeitsbedingungen für die sozialen Berufe erreichen. Neben einer gerechteren Behandlung von Frauen und Männern sowie einer fairen Bezahlung fordern sie auch Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung sowie berufspolitische Vertretungen.
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