Mit Kind und Hund zurück ins Mittelalter
01.09.2010, 07:04 Uhr
Ein Mann in rotem Waffenrock schneidet ein fingerdickes Stück von einer Keule Schinken ab. Die Haare reichen ihm bis zu den Schultern. Grölend prosten sich die Mittelalterfans mit Tonbechern zu. Wir haben den Verein „Bund des Phönix“ auf dem „Tucher Spectaculum“ im Nürnberger Burggraben getroffen.
In der Runde sitzt Ruth Wiechmann. Sie trägt ein grünes Kleid, das sich deutlich von ihren glatten, langen Haaren abhebt. In ihrer Nase steckt ein Ring. Vor drei Jahren hat Ruth Wiechmann gemeinsam mit Freunden den „Bund des Phönix“ gegründet. Seitdem trifft man die Gruppe regelmäßig auf Mittelaltermärkten an. Für Ruth Wiechmann ist das „Urlaub vom Alltag“: „Mir gefällt das einfache Leben ohne Telefon, Fernseher oder Computern“.
Ihre zwölfjährige Tochter Franziska hat ihr Handy jedoch auf den historischen Märkten immer dabei. „Das Lagerleben gefällt mir schon ganz gut. Es kommt aber immer darauf an, auf welchem Markt wir sind“, sagt sie. Mit dem Hobby ihrer Eltern ist sie aufgewachsen. Sich anzuziehen wie ein edles Fräulein und auch bei den Vorstellungen mitzumachen, ist für sie selbstverständlich. Bei der Feuershow, die bei Dämmerung aufgeführt wird, schleudert sie die „Poi“, brennende Bälle an einer Kette.
Schöne alte Welt: Das Gute siegt immer
Zwanzig Mitstreiter zählt der „Bund des Phönix“, darunter Familien ebenso wie Unverheiratete. Das jüngste Mitglied ist gerade mal zwei Jahre alt. Alle kommen aus Nürnberg und der Region. Im echten Leben sind sie Lkw-Fahrer, Altenpflegerin oder technische Zeichnerin. Beim „Bund des Phönix“ werden sie zu Rittern, Edelfrauen oder Knappen. Der Verein soll das Leben im 13. Jahrhundert darstellen. Strenge Vorgaben, welchen Zeitabschnitt jeder einzelne genau repräsentiert, gibt es nicht. „Wir wollen zwar so authentisch wie möglich aussehen, aber der Spaß steht immer noch an erster Stelle“, erklärt Ruth Wiechmann.
Ihre Kleider näht sie meist selbst. Vorlagen dazu findet die 34-Jährige in Zeitschriften. Manchmal inspiriert sie auch ein Gewand, das sie irgendwo gesehen hat. Was nicht in Heimarbeit gefertigt werden kann, wird in speziellen Geschäften gekauft.

In Stoffzelten, die während der Zeit auf den Märkten als Schlafzimmer dienen, stehen Feldbetten. Um den authentischen Charakter zu wahren, sind die Betten mit Fellen abgedeckt. In einem Materialzelt werden Lebensmittel und alle Dinge versteckt, die an das Leben im 21. Jahrhundert erinnern. Es wird streng darauf geachtet, kein Plastik oder Ähnliches im Lager liegen zu lassen.
Beim Leben auf den Märkten gibt es einen geregelten Tagesablauf. Zwischen sieben und acht Uhr wird aufgestanden, Kaffee gekocht und Frühstück zubereitet. Tagsüber zeigen sie Schaukämpfe oder Handwerksvorführungen. Die Kämpfe sind kleine Theaterstücke, deren Geschichten sich die Mitglieder ausgedacht haben. Meist handeln sie von Entführungen oder Überfällen. In jedem Fall gewinnt aber der „Gute“.
Vorführungen mit Schwertkämpfen sind harte Arbeit: Die Gruppe von Valentin Zerr, dem Leiter der ersten Vollkontakt-Schwertkampfgruppe Nürnbergs, geht viermal die Woche joggen. Um die Kämpfe zu üben, haben sie extra eine Scheune angemietet. Zwar sind die Auseinandersetzungen an die Geschichte angelehnt, jedoch wird streng darauf geachtet, niemanden zu verletzen.
Bei den Handwerksvorführungen werden Taschen genäht, Stickarbeiten hergestellt oder man zeigt, wie einst die Waffen gepflegt wurden. Das Abendessen wird frisch zubereitet. Auf dem Grill brutzelt ein saftiges Stück Fleisch. Aus verschiedenem Gemüse kocht ein Mittelalter-Fan, als Bauernmagd gekleidet, einen Eintopf. Die Rollen werden im Wechsel unterschiedlich verteilt. Strenge Geschlechterrollen gibt es nicht. Eine Frau kann dabei schon mal einen Knappen mimen und die Männer müssen auch abspülen. Auf Etikette wird stets geachtet: „Wenn ich mit Kochen dran bin, pass ich schon auf, ein einfaches Gewand anzuziehen“, sagt Ruth Wiechmann.