Mit Wodka in der Borschtsch-Tube
11.5.2011, 07:13 UhrDer 26. August 1978 war ein ganz ähnlicher Tag. Für die Deutschen allgemein und die Ossies im Besonderen. Da flog nämlich Sigmund Jähn als erster Deutscher um die Erde, was man in der DDR gebührend feierte, und in der BRD mit ein paar Zeilen abtat.
Nun war Sigmund Jähn (74) zu Gast im Kulturforum Röthenbach und plauderte vor einem vorwiegend russischen Publikum aus der Raumfahrt. Die beginnt mit dem Mathematiker Konstantin Ziolkowski und setzt sich fort mit Hermann Oberth, was die Theorie anbelangt. Für die Praxis war dann Wernher von Braun mit der V2 zuständig. Die Russen waren schneller als die Amis in Peenemünde und trugen sämtliche Raketenbauteile in ihre Steppe, wo deutsche Ingenieure die Dinger zum Fliegen bringen sollten. Die erste Rakete startete 1947 auf russischem Boden und verflog sich um 80 Kilometer. General Ustinow vergatterte zwei deutsche Ingenieure für die nächste Rakete. Als der Flug zufriedenstellend verlief, ließ Ustinow sich nicht lumpen: Der Rubel rollte, und obendrein gab es einen Kanister Schnaps.
Wer kotzt, fliegt aus dem Programm
Die sowjetische Raumfahrt war also von Anfang an nicht Sache der Russen allein. Ab 1967 mischten weitere Länder aus dem Ostblock im „Interkosmos“ mit. Nach den gescheiterten Versuchen zur Mondlandung konzentrierten sich die Sowjets auf bemannte Raumstationen, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Kosmonauten aus den sozialistischen Bruderländern hinzukamen.
Die Kriterien für die Teilnahme diktierten allerdings die Russen. Der Kosmonaut musste Flugerfahrung haben, uneingeschränkte Flugtauglichkeit aufweisen, über eine hohe Auffassungsgabe verfügen, Stress aushalten, in Notfällen einen klaren Kopf behalten – und Russisch sprechen.
Der Kampfpilot Sigmund Jähn war einer von 20 Männern, die sich im „Sternenstädtchen“ der harten Auswahl unterzogen. Bald war er nur noch einer von zwölfen. Wem schon in der Zentrifuge bei achtfachem Körpergewicht komisch zumute wird, hat auf dem Drehstuhl schlechte Karten. Dort werden nämlich die ständig kippenden Perspektiven in der Schwerelosigkeit simuliert. Wer kotzt, fliegt raus. „Mein Arzt war sehr verständnisvoll“, verrät Sigmund Jähn. „Der sagte: Wenn du nicht auf den Stuhl willst, verabreiche ich dir 300 Gramm Wodka. Wenn du das aushältst, kommst du durch.“
Überhaupt, der Alkohol: Der war an Bord natürlich tabu, aber da man Essen und Trinken in Tuben mitführte, füllten die Kosmonauten zwei Tuben Borschtsch mit Cognac auf. Als Kosmonaut ist man erfindungsreich. Das ist sogar erwünscht: Zum Weltall-Examen wurde nämlich nicht Fachwissen abgehört, sondern der Notfall geprobt. Der arme Kosmonaut musste aus mehreren Kuverts eines auswählen, das eine Havarie mit ausgefeilten Ausfällen skizzierte.
Zwei Fragen werden Sigmund Jähn immer wieder gestellt: 1: Hatten Sie Angst? 2: Haben Sie dort oben ein Ufo gesehen?
Zu 1: Nein. „Ich war beim Start aufgeregt. Aber ich bin Kampfflieger. Wenn man sich bei jedem Flug fragt, ob was schiefgeht, sollte man mit diesem Beruf lieber aufhören.“ Und zu 2: Ja, er hat. „Als wir oben anlangten, fragten uns die russischen Kollegen: Wollt ihr mal unseren Nachbar sehen? Dann gingen wir nach nebenan und guckten aus dem Fenster. Da draußen bewegte sich etwas und blinkte, wenn die Sonne drauffiel.“ Das war ein Eimer voller allzu irdischer Ballaststoffe, den hatten die Kosmonauten diskret durch die Schleuse hinausbefördert.
Überhaupt ging es auf Saljut 6 sehr nett zu. Und laut. Statt majestätischer Stille des Weltraums dröhnten Jähn 30 Ventilatoren um die Ohren. Die mussten die Luft umwälzen, da in der Schwerelosigkeit warme Miefluft nicht mehr nach oben steigt. Daneben bediente Sigmund Jähn die Multispektralkameras von Carl Zeiss Jena und schoss mit der Handkamera Unmengen Aufnahmen von der Erde.
Legendär ist die Weltraumhochzeit zwischen Jähns DDR-Sandmännchen und der Puppe Mascha, die Kosmonauten-Kollege Waleri Bykowski dabei hatte. Leider sträubte sich das DDR-Fernsehen mit Rücksicht auf kindliche Gemüter: Seit wann hat Sandmann eine Frau?
Liegt nun die Zukunft der Menschheit in den Sternen? Jähn zeigt zum Abschluss ein Foto aus Sibirien: ein paar hauchzarte Blumen, die zwischen Steinen hervorsprießen. Also doch: Kosmonauten sind im Grunde ihres Herzens heillose Romantiker!
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