Nach 30 Jahren in Nürnberg: Familienvater in Türkei abgeschoben
7.8.2019, 06:00 Uhr"Die Polizei hat mich mitgenommen", schrieb ihr Ehemann Murat Akgül (35). Das nächste Lebenszeichen des vierfachen Vaters, der seit 30 Jahren in Nürnberg lebt, kam aus der Türkei. Der Kurde mit türkischem Pass war abgeschoben worden.
Während Leyla Akgül unter Schock stand und der Arbeitgeber ihres Mannes, ein großes Gebäudereinigungsunternehmen, seinen langjährigen Mitarbeiter vermisste, tauchte der Mann in der Türkei sofort unter. Das sei auch dringend angeraten gewesen, sagt sein Anwalt Yunus Ziyal. Denn der türkische Staat verfolge Angehörige der kurdischen Minderheit mit voller Härte. Murat Akgül, inzwischen unter lebensgefährlichen Bedingungen über die Balkanroute illegal wieder eingereist, sagt dazu: "Wäre ich festgenommen worden, hätte ich mit 30 Jahren Haft rechnen müssen."
Schon für kritische Facebook-Kommentare drohe in dem Land Gefängnis. Auch in Bayern gibt es zahlreiche Ermittlungsverfahren, darunter eines gegen einen Cellisten der Münchner Philharmoniker, der einen Beitrag des Bayerischen Rundfunks auf seinem Facebook-Account geteilt hatte: Dieser zeigte die YPG-Fahne.
Zunehmende Härte
Das Schwenken dieser Fahne der Kurden-Organisation YPG wirft der Staatsschutz auch dem 35-jährigen Nürnberger vor. Er habe sich an vom kurdischen Verein "Medya Volkshaus" in der Südstadt organisierten Neujahrsfeiern, Demos und Festivals beteiligt. Schwer zu begreifen: Die YPG ist zwar eine militärische Verbündete des Westens im Kampf gegen den "Islamischen Staat", gilt aber gleichzeitig als Verbündete der hierzulande verbotenen kurdischen PKK. Akgül bestreitet alle Vorwürfe.
Was sein Anwalt Ziyal als "absolut gängiges politisches Engagement" bezeichnet, führte in seinem Fall zur Abschiebung. Denn auch wenn die politischen Zustände in Erdogans Staatsapparat immer kritischer bewertet werden, verfolgt der deutsche Staatsschutz angebliche Extremisten sogar mit zunehmender Härte. Auf Anfrage nennt das Bayerische Innenministerium 29 Fälle von so begründeten Ausweisungen in den vergangenen drei Jahren, Tendenz steigend. Der Großteil der Betroffenen sei freiwillig ausgereist, heißt es.
"Ich bin ein Bürger, kein Schwerverbrecher", wehrt sich Akgül gegen die Vorwürfe. Bei der Ankunft in Istanbul sei er sofort vom Zoll, der Flughafenpolizei und im Polizeipräsidium intensiv nach den Gründen der Abschiebung befragt worden. Nur weil die deutsche Seite diese Information offenbar nicht mitgeliefert hatte und er schwieg, sei er vorläufig freigekommen – und abgetaucht.
Vier Kinder im Alter zwischen einem und 13 Jahren, eine Eigentumswohnung in der Südstadt, eine langfristige Niederlassungserlaubnis, ein sicherer Arbeitsplatz. Murat Akgüls Leben in Deutschland schien bis zu jenem Morgen im Mai auf sicheren Fundamenten zu stehen. Jetzt muss er froh sein, dass sich sein Chef für ihn einsetzt.
"Ein toller Kerl"
"Er hat eine super Arbeit gemacht, er ist ein toller Kerl", so beschreibt Norbert Renner, technischer Leiter der Firma Rahmer, seinen türkischen Mitarbeiter, dem er den Arbeitsplatz freihält; das könnte eine ganze Weile nötig sein, denn Murat Akgül hat in Zirndorf notgedrungen einen Asylantrag gestellt, weil ihm in der Türkei Verfolgung drohe – und damit keine Arbeitserlaubnis mehr.
Dabei haben er und seine Eltern wegen drohender Verfolgung in der Türkei vor vielen Jahren bereits einmal Asyl in Deutschland bekommen. Doch dann verzichtete die Familie auf den Schutz in der Annahme, der Friedensprozess im Kurdenkonflikt sei auf einem guten Weg. Man wollte endlich Angehörige in der Türkei besuchen. Es kam anders, der Konflikt eskalierte erneut, doch der Asylstatus war verloren.
Der 35-Jährige ist wieder bei seiner Familie, die ihn so sehr vermisst hat. Und doch ist nichts mehr wie zuvor. Ihr Leben sei von einem Tag auf den anderen auf null gestellt worden, sagt Leyla Akgün, ihr Albtraum habe noch kein Ende.