Nach 40 Jahren: Gründlachs "Tante Emma" hört auf
18.11.2020, 16:31 UhrEin Holzschild baumelt über den Stufen. Der Vorname der Inhaberin ist dort über dem Schreib- und Spielwarengeschäft an der Großgründlacher Hauptstraße 24 zu lesen. Doch die vielen Kinder, die hier ein- und ausgehen, kennen ihn wahrscheinlich nicht. Für sie ist und bleibt die Frau mit dem lieben Lächeln, die Hefte, Süßigkeiten und Bleistifte verkauft, nur: Frau Brunner.
1000 Jahre: So feiert Nürnbergs ältester Stadtteil
Frau Brunner, die Frieda heißt, gehört zu Großgründlach wie die Kirche St. Laurentius, die wenige Meter weiter steht. Wie das Schloss der Hallersteins. Und wie die Bäckerei Gräf, noch so ein Urgestein, ein paar Schritte die Straße hinunter. Seit 40 Jahren ist Frieda Brunner ein Teil des Dorfs im Norden von Nürnberg. Obwohl Brunner eigentlich aus Fürth kommt. Aber auch das verbindet sie: Großgründlach hat selbst lange Jahre zum Landkreis Fürth gehört.
1980 Start als Geschenke-Laden
Aufgewachsen ist Brunner in der Gustavstraße, in der Nähe zweier Schreibwarenläden. Das hat sie geprägt. „Ich wollte immer meinen eigenen Laden haben.“ Den Traum erfüllt sie sich 1980 mit einem Geschäft für Geschenkartikel in Großgründlach. Damit kennt sie sich gut aus. Zehn Jahre hat sie zuvor für die Firma Hoff in der Schmalau gearbeitet, ein Großhändler für solche Waren. Noch heute verkauft Brunner Keramikteller und Porzellanfiguren.
Ihr früherer Chef habe ihr den Einstieg leichtgemacht. Genauso wie die Kunden, die dankend zur Eröffnung strömen. Und natürlich die Familie. „Mein Mann hat damals gesagt: Mach das – nur Schulden werden keine gemacht.“
Das muss Brunner nicht, sie kann sich auf ihre Kunden verlassen. Und die sich auf sie: Frau Brunner hört zu, erweitert ihr Angebot. Als die Nachfrage nach Schreibwaren steigt, informiert sie sich. 2000 Mark koste eine Grundausstattung in etwa, sagt der Vertreter. Frieda Brunner bestellt Briefkuverts und mehr – und landet genau bei 1999 Mark. „Das war verrückt“, erzählt sie.
Viel Kontinuität, viel Fachwissen
Bald schon kommen junge Eltern und wollen ihre Kinder für Kindergarten und Schule ausrüsten. Das Ergebnis ist noch heute im Laden zu sehen: Bleistifte, Füller, Kugelschreiber, Filzstifte in rauen Mengen. Frieda Brunner und Renate Röttenbacher kennen sich richtig gut aus. „Der Stift hier liegt gut in der Hand und lässt sich schön greifen“, heißt es dann. Seit 37 Jahren arbeitet Röttenbacher bei Frieda Brunner, der erste Lehrling, Andrea Seitz, ist ihre Schwester. Auch die ehemalige Mitarbeiterin Christina Meißel war 27 Jahre dabei.
Die Kontinuität und das Fachwissen locken neben den Gründlacher auch viele aus den umliegenden Dörfern ins Geschäft. Sie gehen nun mit einer Träne im Auge wieder hinaus. Eine kauft eine Packung Kuverts für zwei Euro. So günstig? „Ja, wir schließen zum Jahresende“, antwortet Frieda Brunner. „Oje, wie schade“, sagt die Kundin betrübt und verspricht, noch einmal wiederzukommen.
Renate Röttenbacher nimmt die Brille von der Nase und atmet tief durch. Sie verkneift sich die Tränen. Immer klappt das nicht, „wir haben schon viel geheult“, sagt sie. Neulich habe eine Kundin gesagt, dass das ganz Knoblauchsland weine. Aber mit 69 Jahren ist nun Schluss. Ein Nachfolger? „Mit Miete rentiert sich das nicht“, sagt Frieda Brunner. Alle werden sie vermissen.
Süßigkeiten-Tüten sind der Renner
Allen voran: die Kinder. Die dürfen sich bei Frieda Brunner durch das Spielzeug wühlen, Spiele inspizieren und Bücher durchblättern, die danach vielleicht in der Geburtstagstüte landen. Ein Service für die, die ein Geschenk fürs Geburtstagskind suchen. Die meiste Zeit verbringen die Mädchen und Jungen aber unweit der Ladentheke.
Dort suchen sie sich Gummischlangen und weiße Mäuse aus, Erdbeeren, die in den Zähnen kleben bleiben, Lakritze und andere Gummibärchen, die Frau Brunner geduldig in kleine Tüten packt. Normalerweise. Wegen Corona hat sie die Tüten aktuell schon vorgepackt. „Die sind trotzdem der Renner“, sagt Röttenbacher.
Das findet auch Stefan. Auch er hat als kleiner Junge schon hier Süßigkeiten gekauft, inzwischen ist er 25. „Und wenn die Tüte dann 1,20 gekostet hat und du hattest nur eine Mark, hast du sie trotzdem bekommen“, erzählt er. Frieda Brunner lächelt breit – so wie nur sie das kann. Auch da sei sie von ihrer Umgebung geprägt gewesen. „Wir hatten einen Italiener in der Straße, bei dem hat die Kugel Eis zehn Pfennig gekostet“, sagt die 69-Jährige. „Und wenn ich nur acht Pfennig hatte, habe ich trotzdem eine bekommen.“
1000 Geschichten zu erzählen
Bei ihre jungen Kunden, für die es nach dem Umzug in die doppelt so großen Räume an selber Stelle sogar Bastelkurse gegeben hat, drückt Frieda Brunner gerne ein Auge zu. Selbst wenn einer doch mal etwas einsteckt ohne zu bezahlen, was fast nie vorgekommen sei. Dann ist Brunner, die selbst einen Sohn und eine Tochter hat, trotzdem freundlich geblieben, bis die Täter es zugegeben haben. Damit ist es gut gewesen. „Nur einmal hat ein Vater angerufen, weil sein Sohn etwas geklaut hat. Ich solle ihn bestrafen. Er hat dann den Hof gekehrt, aber das tat mir richtig leid.“
In der bald 1000-jährigen Geschichte von Großgründlach nimmt Frieda Brunners Schreibwarenladen zwar nur einen kleinen Teil ein. Trotzdem kann sie 1000 Geschichten erzählen, die sie hier erlebt hat. Vom Fürther Christkind, „das immer auf den Stufen die Kinder empfangen hat“, bis zu den ersten Adventsmärkten im Ort, wo Brunner noch auf einem kleinen Bistrotisch Ware angeboten hat.
Am liebsten spricht Frieda Brunner, deren Haare längst nicht mehr dunkelblond, sondern weiß sind, über ihre Kunden. Und deren Treue, durch alle Zeiten. Ein Tief habe es deshalb selten gegeben, auch nicht als große Ladenketten in der Nähe aufgemacht und manche Sachen billiger verkauft haben. Die Gründlacher schätzen die Beratung bis heute. Und dass sie sogar klingeln konnten, wenn noch gar nicht geöffnet war – und ihnen trotzdem geholfen wurde. Egal ob beim Ausdrucken einer Arbeit für die Uni oder bei einem Geschenk für eine Taufe noch schnell am Sonntagfrüh.
"Manche kommen nur zum Reden"
Frieda Brunner kennt sie alle, auch alle Schicksale im Mikrokosmos des Dorfes, der sich hier gebildet hat. Gründlachs Tante Emma heißt Frau Brunner. „Manche kommen auch nur zum Reden.“ Gerade wollen sie aber auch kaufen und stöbern. „Aufgeräumt war es bei uns nie“, lacht Renate Röttenbacher. Vor kurzem hat ein junger Mann zwei Spielzeuge ausgesucht. Für seinen Nachwuchs. Nur hat er noch gar keinen. Aber wenn es so weit ist, „sollen sie ihre ersten Spielsachen von dort haben, wo meine auch her waren.“
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