«Nach ein paar Tagen nervt der Schleier»

7.4.2008, 00:00 Uhr
«Nach ein paar Tagen nervt der Schleier»

© privat

dieses Hobby pflegen Jens Börner und Myriam Gateault schon seit einigen Jahren. Gerne fühlen sie sich bei Mittelaltertreffen in diese Zeit zurückversetzt. Im Mittelalter leben möchte das Paar trotzdem nicht. Dafür sind beide bei allem Enthusiasmus zu realistisch. «Damals starb man schon an einer Lungenentzündung oder an einem kranken Zahn. Außerdem wütete die Pest im 15. Jahrhundert schrecklich in Nürnberg», so Börner. «Man würde vieles aus der heutigen Zeit vermissen», fügt Gateault hinzu.

Bei Mittelaltertreffen versuchen die Teilnehmer, einige Tage lang so zu leben, wie es im Mittelalter üblich war - inklusive Kochen, Körperpflege und handwerklicher Tätigkeiten. «Die Menschen haben damals für alles viel mehr Zeit gebraucht. Mal abgesehen von Adligen haben die Menschen von morgens bis abends gearbeitet. Nur die Sonn- und Feiertage waren frei», erklärt Jens Börner. Die Hausarbeit musste freilich auch an diesen Tagen gemacht werden.

Die Mittelalterfans freuen sich auf die Gegenwart

Wenn so ein Treffen zu Ende geht, freuen sich die Mittelalterfans doch wieder auf die Gegenwart: «Auch wenn ich die Kleidung von damals unheimlich schön finde: Nach ein paar Tagen nervt sie, vor allem der Schleier», befindet Myriam Gateault. Und gibt zu: «Wir genießen es dann richtig, einfach auf der Couch zu liegen, fernzusehen und eine Pizza zu bestellen.» Ihr gemeinsames Fazit: «Einen Tag reinschauen, ja. Im Mittelalter leben, nein.»

Der Besuch von Mittelaltertreffs macht aber nur einen kleinen Teil des Hobbys aus. Börner und Gateault schneidern selbst Kleidung aus dem Mittelalter. Dazu verwenden sie sowohl Materialien als auch Techniken, die es früher schon gegeben hat. Jens Börner schneidert den Stoff, Myriam Gateault ist die Näherin. Natürlich nur per Hand - im Mittelalter gab es schließlich auch keine Nähmaschine. Sogar die Stiche sind historisch überliefert, die Schnitte der Kleidung werden rekonstruiert.

Das Nachschneidern historischer Kleidung ist für das Paar eine Möglichkeit, das Mittelalter nachzuempfinden. Ansonsten lesen die beiden viel über das 15. Jahrhundert. «Uns interessiert alles an dieser Zeit: Wie die Menschen ihre Kleidung gemacht haben, was sie eingekauft und gegessen haben, wie sie Kinder bekommen haben, welche Werkzeuge sie benutzt haben», fasst Myriam Gateault ihre Faszination für das Mittelalter zusammen.

Für Nürnberg war das 15. Jahrhundert eine wahre Blütezeit: «Nürnberg war eine mächtige Stadt im späten Mittelalter. Es gab viele Erfindungen, der Handel blühte», beschreibt Jens Börner. Deshalb gibt es aus dem 15. Jahrhundert auch so viele Belege, die es ermöglichen, sich ein gutes Bild von dieser Zeit zu machen.

Diese Mühe machen sich nur wenige Menschen. Viele haben falsche Vorstellungen vom Mittelalter, die teilweise von schlecht recherchierten historischen Romanen gestützt werden. Die geringe Lebenserwartung etwa rühre nicht daher, dass die überwiegende Zahl der Menschen schon mit 35 gestorben ist, sondern liegt in der hohen Kindersterblichkeit begründet. «Auch damals gab es schon viele Menschen über 60. So schlecht ging es denen gar nicht», so Jens Börner.

Auch die angeblich fehlende Hygiene im Mittelalter können die Mittelalterfans nicht bestätigen: «Badehäuser waren gerade im späten Mittelalter schwer in Mode.» Eine Überraschung dürfte für viele die Tatsache sein, dass Hexenverfolgungen nicht im Mittelalter stattfanden, sondern erst später.

Das Paar ist immer wieder bemüht, Missverständnisse rund ums Mittelalter aus dem Weg zu räumen. Bei Festen kommen allerdings hin und wieder Fragen von Besuchern, die selbst ihnen für einen Moment die Sprache verschlagen: «Manche denken wirklich, dass die Menschen im 15. Jahrhundert noch im Lendenschurz herumliefen oder sich Felle übergeworfen haben», erzählt Myriam Gateault mit einem Lächeln.

Dabei gab es im Mittelalter Kleidung, die so aufwändig gestaltet war, dass sie heute nur schwer reproduzierbar ist - und das, obwohl damals alles per Hand geschneidert wurde: «Heute kann das gar keiner mehr mit dieser Kunstfertigkeit. Damals hatten die Schneider aber zum Teil auch eine zehnjährige Lehrzeit zu absolvieren.»

Manche Menschen scheinen das Mittelalter sogar mit der Steinzeit zu verwechseln: «Einer fragte mal, ob es damals schon Feuer gegeben hätte», erinnert sich Myriam Gateault. Das sei aber zum Glück die Ausnahme.

Jens Börner und Myriam Gateault betreuen zwei interessante Internetseiten: «www.nuernberg-im-mittelalter.de» (befindet sich noch im Aufbau) und «www.diu-minnezit.de»

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