Nach Messerattacke: Spurensuche in Nürnbergs Problemstraße

14.4.2018, 11:00 Uhr
Nach Messerattacke: Spurensuche in Nürnbergs Problemstraße

© Herse/News5

Seit die Temperaturen endlich frühlingshaft mild sind, spielt sich das Leben hier im westlichen Abschnitt der Denisstraße bis tief in die Nacht hinein vor allem auf der Straße und in den Hinterhöfen ab. "Die Familien sind gerne draußen", sagt Özlem Öz. "Das ist Teil ihrer Kultur, und draußen es ist auch schöner als in einer nach Schimmel riechenden Wohnung."

Özlem Öz arbeitet seit zwölf Jahren als Pädagogin im Internationalen Frauen- und Mädchenzentrum im vorderen, östlichen Teil der Denisstraße. Die Häuser sind hier wesentlich gepflegter und nicht so heruntergekommen wie viele in jenem Abschnitt, der mit der Querung der Paumgartnerstraße beginnt. Auch von dort kommen immer wieder Frauen in die Beratungssprechstunden zu Özlem Öz und ihren Kolleginnen.

Häufig sind es Angehörige der Volksgruppe der Thraker. Das sind türkischstämmige Muslime, die im nordöstlichsten Zipfel Griechenlands zu Hause sind.

Seit Jahrzehnten haben sich viele Familien hier in der Denisstraße angesiedelt. Die meisten sprechen kaum Deutsch und leben in oft erbärmlichen Verhältnissen in heruntergekommenen Häusern. Oder eben, wenn es das Wetter zulässt, zusammen mit ihren Kindern draußen. Den Nachbarn gefällt das nicht immer.

Auch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag war das wieder mal so. Kurz vor 22 Uhr spielten mehrere Kinder und Jugendliche in der Einfahrt zu einem Hinterhof neben der "Sportgaststätte Astoria".

"Alles hat nicht länger als fünf Minuten gedauert"

Im Außenbereich dieses Lokals am breiten Gehweg saßen auch noch etliche Stammgäste, die sich irgendwann über den Lärm ärgerten.

Ein junger Mann, der Augenzeuge des Geschehens war, erzählt, was dann passierte: Ein schon offensichtlich angetrunkener "Astoria"-Gast sei plötzlich auf die spielenden Kinder schimpfend zugegangen.

Daraufhin habe sich ihm ein anderer Mann - ein Anwohner - in den Weg gestellt und ihn attackiert. In Windeseile sei die Situation eskaliert. Kinder und Jugendliche hätten sich mit auf die kämpfenden Männer gestürzt. Dann sei ein weiterer Mann aus dem Innenbereich des Lokals herausgekommen, habe ein Messer aus seinem Strumpf gezogen und sei damit auf die Streitenden losgegangen.

"Das hat alles nicht länger als fünf Minuten gedauert", berichtet der junge Augenzeuge. Er habe sich dann um den stark aus einer Stichwunde im Rücken blutenden Anwohner gekümmert, bis schließlich jede Menge Polizei kam und endlich auch Rettungswagen.

Am Freitag teilte die Polizei dann mit, der schwer verletzte 34-Jährige werde in einer Klinik stationär behandelt, befinde sich aber nicht mehr in Lebensgefahr.

Die beiden Leichtverletzten sind seine beiden 14 beziehungsweise 15 Jahre alten Söhne, die ihrem Vater bei der Auseinandersetzung mit dem Lokalbesucher zu Hilfe geeilt waren. Sie wurden nur ambulant behandelt. Die Polizei nahm noch im näheren Bereich des Tatorts nach kurzer Zeit die zwei zunächst geflüchteten Lokalbesucher fest und fand zwei bei der Tat benutzte Messer. Die Mordkommission ermittelt.

Die beiden Tatverdächtigen sind Serben. Das Opfer, das laut Zeugenaussage über dem Lokal wohnt, ist Grieche. Vieles spricht dafür, dass er zur Volksgruppe der Thraker gehört, deren Angehörige sich hier im Viertel seit Jahrzehnten immer zahlreicher niedergelassen haben. "Geschätzt 80 Prozent der Bewohner im Viertel zwischen Denisstraße, Feuerleinstraße, Austraße und Mendelstraße sind thrakische Familien", sagt Özlem Öz.

Hohe Mieten für verwahrloste Wohnungen

Als EU-Bürger können die griechischen Staatsangehörigen sich problemlos hier niederlassen. Neuankömmlinge suchen naheliegenderweise zunächst die Nähe von Verwandten und Bekannten hier im Quartier. Bis sie eine eigene Wohnung gefunden haben, teilt man sich laut der Pädagogin Öz auch schon mal zu zehnt eine Zweizimmerwohnung.

Am Tag danach ist rings ums "Astoria" wieder alles ruhig.

Am Tag danach ist rings ums "Astoria" wieder alles ruhig. © Roland Fengler

Die Häuser, in denen die Thraker unterkommen, machen größtenteils schon von außen einen desolaten Eindruck. Fenster und Türen sind defekt, Müll und Bauschutt liegt in den Innenhöfen. Wenn Thrakerfrauen in die Beratungsstelle von Özlem Öz kommen, berichten sie oft davon, dass ihre Wohnungen von Mäusen und Kakerlaken befallen sind, dass die Heizung und die Warmwasseraufbereitung seit Wochen nicht funktioniere, aber das den Hausbesitzer wenig interessiere. "Der sagt ihnen dann, sie müssten ja nicht hier wohnen und hätten die Möglichkeit, auszuziehen."

Familien müssen nehmen, was sie bekommen

Die thrakischen Familien, die in der Regel wenig Bildung oder Berufskenntnisse mitbringen und noch größerer Armut in Griechenland entflohen sind, haben aber genau diese Möglichkeit nicht. Sie müssen nehmen, was sie bekommen.

Die Männer übernehmen einfachste Jobs, arbeiten laut Öz oft auch unter dubiosen Verhältnissen in Scheinselbstständigkeit und hausen mit ihren Familien "in Bruchbuden, in die wir keinen Fuß reinsetzen möchten, die aber auch als kleine Zweizimmerwohnung schon mal 600 oder 700 Euro Miete kosten".

Auch der junge Tatzeuge, der am Tag danach bereitwillig vor dem "Astoria" seine Beobachtungen schildert, wohnt hier im Viertel. Er ist schon hier aufgewachsen. Wie ein Rohrspatz schimpft auch er auf seinen Vermieter.

"Der lässt alles runterkommen. Die Tür und die Klingel sind kaputt, in der Wohnung gibt’s Schimmel, aber er ist nicht zu erreichen." Die Leute seien alle arm hier, sagt er. Da kämen viele auch auf schlechte Gedanken. "Aber so ist das Leben hier. Ich liebe das Viertel trotzdem."

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