Neuer Haushalt für Nürnberg: Stadtrat billigt Rekordverschuldung
19.11.2020, 21:02 UhrVor dem Eingang der Meistersingerhalle stand ein Sarg aus Pappkarton. "Konzerthaus" stand darauf, und Musiker von Staatsphilharmonie und Nürnberger Symphoniker spielten ein Trauerlied, als die Stadträte mit ihren Aktentaschen an ihnen vorbeihasteten. Die Politiker mussten für ihre Etatberatungen in die große Halle ausweichen, weil im Rathaus die Corona-Abstandsauflagen nicht hätten eingehalten werden können.
Spar-Haushalt mit Abstrichen
Die Kultur werde nun endgültig zu Grabe getragen, fürchteten die Musiker, die vor allem das "Aus" für den raschen Bau eines Konzertsaals in Rage brachte. Doch sie täuschten sich: Die großen Kulturprojekte, wie etwa die Sanierung des Opernhauses für 125 Millionen Euro oder der Pellerhaus-Umbau für über 30 Millionen Euro, standen dann gar nicht zur Diskussion, da sie im neuen Spar-Haushalt schlicht nicht vorgesehen sind.
Das sind die Schwerpunkte des neuen Haushalts:
Nürnberg wächst und investiert in Wohnen, Schule (samt IT-Ausstattung) und Betreuung. Für 33 Schulprojekte fließen 237 Millionen Euro. Für den öffentlichen Nahverkehr sind 140 Millionen Euro eingestellt. Drei Hafenbrücken werden für 227 Millionen Euro saniert. Über 11 Millionen Euro sind für den Bau von Radwegen reserviert.
Der finanzielle Ausgleich für das 15-Euro-Sozialticket für einkommensschwache Bürger liegt bei über 13 Millionen Euro. Die Sanierung des U-Bahnhofes Lorenzkirche kommt auf sieben Millionen Euro. Rund 310 Millionen Euro sind in den kommenden sechs Jahren für Klimaschutz in der Stadt eingeplant.
Das sind die Eckpunkte:
Der neue Haushalt, den die 70 Stadträte mit sieben Gegenstimmen auf den Weg gebracht haben, umfasst einerseits die Zahlen für die Jahre 2020/2021, andererseits auch Investitionen bis zum Jahr 2024. Der Schuldenstand wird nächstes Jahr um knapp 200 Millionen Euro steigen. Derzeit liegt er bei 1,55 Milliarden Euro, nächstes Jahr bei 1,75 Mrd. und dürfte bis 2023 auf über zwei Milliarden anwachsen. Zum Vergleich: Vor rund zehn Jahren lagen die Schulden noch bei 890 Mio. Euro.
Die Einnahmen liegen bei gut zwei Milliarden Euro, die Ausgaben bei 2,096 Mrd. Euro. Das Defizit für 2021 von fast 50 Millionen Euro steigt im Jahr 2022 erneut an, auf fast 60 Millionen Euro, ehe man 2024 ein Minus von nur noch gut 13 Millionen Euro erreichen will.
Zur Verschlechterung haben folgende Entwicklungen beigetragen: Die Einkommensteuer sinkt um 2,1 Mio. Euro, der Anteil an der Umsatzsteuer um 2,6 Mio. Euro, die Schlüsselzuweisungen gehen gar um 12 Mio. Euro zurück. Allein die Kosten für die Bewältigung der Folgen von Corona schlagen mit gut einer Mio. Euro zu Buche.
Die neuen Investitionen für die nächsten vier Jahre betragen 1,8 Mrd. Euro, allein für 2021 sind nun 467 Millionen Euro im Haushalt eingestellt. Davon steuert die Stadt 352 Mio. Euro aus Eigenmitteln bei, der Rest sind öffentliche Zuschüsse. Neue Stellen: Nach dem Bemühen fast aller Fraktionen werden nun nur 310 statt der gewünschten 460 Stellen zusätzlich geschaffen.
Impulse für wirtschaftliches Wachstum
Die Schlagzeilen der vergangenen Tage bestimmten die Reden der Fraktionsvorsitzenden. Andreas Krieglstein (CSU) sagte, die Kommune müsse Impulse für wirtschaftliches Wachstum in der ganzen Region setzen und dabei privatwirtschaftliche Aktivitäten, etwa beim Marientorzwinger, der leer steht, vorantreiben. Die Planungen im Kulturbereich dagegen, wie für den neuen Konzertsaal, den Umbau des Museums Industriekultur oder die Künstlerateliers in der Kongresshalle, müsse man in einer Gesamtschau Anfang kommenden Jahres unter die Lupe nehmen.
In einem "Szenario 2030", so Krieglstein, werden man dann Finanzierung und Zuschüsse beleuchten. SPD-Fraktionschef Thorsten Brehm wies darauf hin, dass seine Partei darauf gedrängt habe, "in einem transparenten Verfahren" eine Perspektive für einzelne Kulturprojekte aufzuzeigen. Mit einem Seitenhieb auf die Erklärungen von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) in den vergangenen Tagen fügte er an, dies sei "zielführender als tägliche Pressekonferenzen".
Man verfolge derweil das Motto "Vorfahrt für Kinder, Bildung und Betreuung", betonte Brehm und nannte damit die Richtung, auf die sich die beiden großen Fraktionen bei ihrem strengen Sparkurs geeinigt hatten und in die Kämmerer Harald Riedel die kommenden Investitionen bereits gebracht hatte.
Investitionen in Schulen und Nahverkehr
Das stieß auch auf Zuspruch von Achim Mletzko von den Grünen, der lobte, dass man "mutig und innovativ" vorgehe und bereit sei, neue Schulden aufzunehmen, um etwa Schulbauten finanzieren zu können. Gleichwohl müsse mehr in den Verkehrsbereich investiert werden, vor allem in den öffentlichen Nahverkehr.
"Nichts sei wichtiger als flächendeckende Radwege", sagte Roland Hübscher von der AfD. Titus Schüller von den Linken verlangte, die extrem niedrigen Löhne in der Servicegesellschaft im Klinikum zu beenden. Jürgen Dörfler (Freie Wähler) befand angesichts ausbleibender Geldflüsse, etwa sinkender Gewerbesteuereinnahmen: "Corona macht Nürnberg ärmer". Deshalb schlug er vor, statt die Begegnungsstätte Burg Hoheneck für fast 40 Millionen Euro zu sanieren, sie besser an einen Hotelier zu veräußern.
Marion Padua von der Linken Liste sprach von einem Jahr der Krise und forderte, mehr für sozial weniger auf Rosen gebettete Bevölkerungskreise zu tun.
In den Abstimmungen kippte die Mehrheit der Stadträtinnen und Stadträte alle Anträge auch im Sozialbereich, die zu Mehrausgaben geführt hätten. "Die Ablehnung tut mir weh", gestand Oberbürgermeister Marcus König, der erstmals die Haushaltsberatungen leitete. Jedoch halte die Stadt ihre Zuschüsse an Einrichtungen, Verbände oder Institutionen im bisherigen Umfang aufrecht.
Am Ende wurde das Zahlenkonvolut gegen die sieben Stimmen der Stadträtinnen und Stadträte von ÖDP, Die Linke, die Guten und Linke Liste verabschiedet. Applaus von allen erhielten Kämmerer Riedel und seine Abteilung für die gute Vorbereitung.
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