Niemand stoppt den Verfall des NS-Bahnhofs "Märzfeld"
18.4.2018, 20:37 UhrDurch Zufall erfuhr Charlotte Soppa vom "erbärmlichen Zustand" des Bahnhofes, an dem in den Jahren 1941 und 1942 aus Nürnberg 2000 Juden in die Vernichtungslager deportiert wurden. Die 25-jährige Landschaftsarchitektur-Studentin hatte ihr Thema für ihre Bachelorarbeit gefunden. Sie reichte das Stück mit dem Titel "Erinnerungsräume — ein Entwurf für den ehemaligen Bahnhof Märzfeld Nürnberg" an ihrer Hochschule, der Leibniz-Universität Hannover, ein. Unterstützt wurde die Studentin von der Stadtbild-Initiative Nürnberg, die darin eine wertvolle gestalterische Lösung "für den Umgang mit dem geschichtsträchtigen Raum" sah.
"Ich habe die Arbeit in vier Bereiche eingeteilt: Unterführung, Treppenaufgänge, Bahnsteig und Böschung." Die Unterführung ist mit provisorischen technischen Maßnahmen gesichert, da die Verbindung einsturzgefährdet ist. "Der Tunnel muss vor dem Verfall gerettet werden", sagt Elmar Hönekopp von der Stadtbild-Initiative. Gleiches gilt für die Treppenaufgänge. Auch sie sind marode und komplett zugemauert. Im Entwurf der 25-Jährigen soll der mittlere Treppenaufgang geöffnet und zugänglich gemacht werden. Die vier anderen werden mit Glasscheiben versehen. "Dadurch fällt zum einen mehr natürliches Licht in die Unterführung und zum anderen dienen die Treppen als Projektionsfläche für diverse Installationen", erklärt Charlotte Soppa.
Ein "Erinnerungsweg"
Der Bahnsteig ist derzeit noch komplett zugewachsen. Hier wurden die Menschen in die Todeslager deportiert. Aber wenige Jahre zuvor hatte er noch eine andere Funktion: Am Bahnhof Märzfeld stiegen die Teilnehmer, überwiegend stramme Anhänger des Hitler-Regimes, aus, um zu den Reichsparteitagen zu gelangen. Über den mittleren Aufgang wird der Bahnhof wieder begehbar sein. Der Bahnsteig wird bepflanzt, enthält Informationen zu den Teilnehmern der Reichsparteitage und zu den Opfern des Holocaust in Nürnberg. Die Infos sind im Entwurf in einem "Erinnerungsweg" eingraviert, der längs im Boden des Bahnsteigs eingelassen ist. "Das ist so ähnlich wie bei den ,Stolpersteinen‘ vor Wohnhäusern, die mit Namen an ermordete Juden erinnern, die dort gelebt hatten", sagt sie.
Und schließlich die Böschung. Ein Zaun sperrt sie derzeit vom Fußweg ab. Die Menschen wurden wie Vieh über die Böschung getrieben und dann in die Züge gepfercht. "Man wollte erreichen, dass die Deportation so wenig wie möglich auffällt", sagt Elmar Hönekopp. Ein schlichter Weg soll nach den Plänen in die Böschung führen. "Es ist ein Versuch, das Gefühl über den Weg der Deportation, den die verfolgten Juden damals gezwungen wurden zu gehen, nachzuempfinden", sagt die 25-Jährige.
Mit ihrer Arbeit traf Soppa einen wunden Punkt bei Hönekopp. Dass der Bahnhof ertüchtigt und an seine Geschichte erinnert werden muss, ist keine neue Erkenntnis. Genau vor vier Jahren ging die Stadtbild-Initiative mit dieser Forderung an die Öffentlichkeit. Der Stadtrat hat anschließend einhellig zugestimmt, dass die Reste des Bahnhofs erhalten werden sollen, und die SPD — allen voran der Bundestagsabgeordnete Martin Burkert — bekräftigte, das Vorhaben zu unterstützen. "Der Bahnhof ist nach wie vor in einem desolaten Zustand. Das wollen wir nicht akzeptieren", kritisiert Hönekopp. "Das Projekt soll endlich mal jemand in die Hand nehmen. Die Verantwortung wird von einer zur nächsten Behörde geschoben." Hönekopp will noch mal einen Anlauf bei Martin Burkert versuchen. "Abgesehen von den Plänen eines Erinnerungsortes muss doch auch ein Interesse bestehen, den Durchgang von Grund auf zu sanieren. Er ist eine wichtige Verbindung für Fußgänger und Radfahrer in Langwasser."
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