NN-Talk: Karikaturist Horst Haitzinger verabschiedet sich nach 56 Jahren

Kurt Heidingsfelder

24.1.2020, 06:39 Uhr
NN-Talk: Karikaturist Horst Haitzinger verabschiedet sich nach 56 Jahren

"Ich bewundere ihre Karikaturen seitdem ich neun Jahre alt war." Der erste Fragesteller aus dem Publikum trägt dick auf, bringt damit aber die Stimmung im Saal auf den Punkt: "Für mich sind Sie der Beste der Welt." Horst Haitzinger pariert diese Schwärmerei genauso souverän selbstironisch wie alle weiteren. So habe er nie mit der viel zitierten "spitzen Feder" gezeichnet, sondern meistens mit: "Marderhaar, Nummer vier." Also mit Pinsel und Tusche.

Außergewöhnlich rasch gingen die Tickets weg. Doch der Ruheständler in Trachtenjanker und Turnschuhen, der gut 500 Fans in die ausverkaufte kleine Meistersingerhalle lockte, suchte selbst kaum das Licht der Öffentlichkeit. "Das ist das größte Forum, vor dem ich jemals aufgetreten bin", staunt Horst Haitzinger am Donnerstagabend im Gespräch mit Chefredakteur Alexander Jungkunz. Seine Zeichnungen dagegen sahen Millionen. Seit Dezember ist Haitzinger (80) im Ruhestand.

"Satire darf nicht alles"

56 Jahre lang Jahre hat der gebürtige Österreicher und Wahl-Münchner den Nürnberger Nachrichten und anderen Blättern fast jeden Tag eine Karikatur geschickt, zigtausende an der Zahl. Jungkunz zeigt per Beamer eine kleine Auswahl davon, es ist ein amüsanter Ritt durch sechs Jahrzehnte deutsche und internationale Politik. Die Protagonisten sind: de Gaulle, Reagan, Thatcher, Breschnew, natürlich Brandt, Schmidt, Kohl und Strauß, später Merkel, aber auch bereits in Vergessenheit geratene Nebendarsteller wie Bangemann und Rösler. Bei Haitzinger erkennt man immer sofort, wer gemeint ist. Keiner sei zeichnerisch schwerer oder leichter zu treffen gewesen als die anderen, erklärt der Meister. Alle Politiker hätten zudem eines gemein: "Wenn einer lang genug am Drücker ist, sieht er seiner Karikatur mit der Zeit immer ähnlicher."

Selbstverständlich stellt Jungkunz die Frage aller Fragen: Darf Satire alles? Und Haitzinger antwortet auch hier bestimmt, aber unaufgeregt. "Satire darf nicht alles. Satire lebt von der Grenzverletzung, und dafür muss ich erst mal Grenzen anerkennen."

Der wache Geist und der feine Humor dieses sehr rüstigen Alten, der gesprochen kaum weniger beeindruckt als gezeichnet, nimmt seine Zuhörer derart für ihn ein, dass mehrere ihn anflehen, doch weiterzumachen und sich künftig nicht nur seinen Naturbildern in Öl zu widmen. Doch der "Star" des Abends, der für den Spiegel arbeitete, für die Bunte, für die tz, gelegentlich auch für den Playboy, und jahrzehntelang im deutschsprachigen Raum zur ersten Garde seines Fachs gehörte, lässt sich nicht erweichen.

Für den Sohn eines Gendarmen, der sich als Kind "oft den Kummer von der Seele zeichnete", sind inzwischen zu viele Themen auserzählt. Ihm seien, so gesteht es Haitzinger freimütig, die Ideen ausgegangen. Auch sei er mit den Jahren "skrupulöser" geworden. Ende der 1970er Jahre sorgte Haitzinger für großen Aufruhr unter den NN-Lesern, weil er zu Weihnachten eine Krippe mit zwei Jesuskindern gezeichnet hatte.

"Es ist noch nicht genug kaputt, damit die Menschheit aufwacht"

Früh, als einer der ersten seines Fachs, prangerte Haitizinger in seinen Karikaturen die Zerstörung unserer Umwelt an. "Heute provoziert man damit niemanden mehr." Die entscheidende Frage sei: "Bin ich auch dann noch für Umweltschutz, wenn mich der meinen Arbeitsplatz kostet." In einem der gar nicht wenigen nachdenklichen Momente in der Meistersingerhalle zitiert Haitzinger seinen alten Freund, den ehemaligen Bund-Naturschutz-Chef Hubert Weinzierl: "Es ist noch nicht genug kaputt, damit die Menschheit aufwacht."

Trotzdem: Er kann es tatsächlich lassen. Horst Haitzinger zeichnet keine politischen Karikaturen mehr, und zwar überhaupt keine mehr. Seit Ende Dezember "null Mal", wie er betont. Seine Miene zeigt keine Spur von Bedauern. Und allen, die ihm prophezeit hätten, es würde ihn jeden morgen nach dem Hören der Nachrichten im Radio in den Fingern jucken, entgegnet er trocken: "Mich juckt gar nix. Ich bin glücklich."

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