Nürnberg: Kein Radler soll mehr durch städtische Lkw sterben
19.7.2019, 06:59 UhrDas weiß lackierte Fahrrad ist auf einem Grasstreifen an ein Verkehrsschild an der Jitzhak-Rabin-Straße gekettet. In einer Vase am Lenker steckt ein Strauß Blumen. Auf einem Zettel über dem Rad, ist zu lesen: "Katharina, 30 Jahre, am 18. Juni 2019 durch einen Lkw getötet". Sogenannte Ghostbikes werden oft von Aktivisten zum Gedenken und als Warnung an Stellen aufgestellt, an denen Radler verunglückten.
Immer wieder sterben Radfahrer auf Nürnbergs Straßen. Bei Unfällen mit Lkw ist oft der tote Winkel schuld: Die meist erhöht sitzenden Fahrer können Radler, die von hinten kommen und geradeaus wollen, beim Rechtsabbiegen leicht übersehen. Auch beim Linksabbiegen passieren Unfälle.
Stadt hat auch Neufahrzeuge im Blick
Aus der Verkehrsunfallstatistik der Polizei geht hervor, dass es im Jahr 2016 in Nürnberg 16 Lkw-Abbiegeunfälle mit Radfahrern gab – zwölf beim Abbiegen nach rechts, vier beim Abbiegen nach links. 2017 waren es elf solche Unfälle, 2018 neun. Seit 2013 sind in der Stadt drei Fahrradfahrer bei Zusammenstößen mit Lkw ums Leben gekommen.
Bereits im vergangenen Jahr hatten die CSU- und SPD-Stadtratsfraktionen in einem Antrag die Stadtverwaltung aufgefordert, alle kommunalen Lkw mit Abbiegeassistenten und Bremssystemen auszustatten. Diese Technik warnt vor Radfahrern oder Fußgängern im Umfeld des Fahrzeugs und leitet bei Bedarf eine Notfallbremsung ein. Nürnbergs Baureferent Daniel Ulrich findet den Vorschlag gut. "Der größte Feind der Fahrradfahrer ist ein rechtsabbiegender Lkw." Derzeit prüft die Verwaltung, ob die jeweiligen Hersteller der Lkw im städtischen Fuhrpark eine Umrüstung anbieten. "Wir wollen jeden Lkw, bei dem es möglich ist, mit einer Abbiegehilfe ausstatten", sagt Ulrich.
Bei einigen Modellen können schon Erfolge vermeldet werden. So teilte die SPD-Stadtratsfraktion gestern mit, dass bereits 13 Lkw der Stadtentwässerung und Umweltanalytik Nürnberg umgerüstet wurden. "Der Servicebetrieb öffentlicher Raum und der Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt Nürnberg rüsten ihre Fuhrparks in den nächsten Monaten um." Ausgenommen seien Fahrzeuge, die demnächst stillgelegt werden, heißt es in der Mitteilung. Und mehr noch: "Die Verwaltung der Stadt Nürnberg nimmt ab sofort nur noch Lkw mit Abbiege-Assistenten in ihren Fuhrpark auf."
Die Stadt macht das freiwillig. Europaweit verpflichtend ist ein Abbiegeassistent für alle neuen Fahrzeugtypen nämlich erst ab dem Jahr 2022, für neue Fahrzeuge sogar erst ab 2024. Auf nationaler Ebene könne Deutschland da keine eigenen Regeln aufstellen, erklärt das Bundesverkehrsministerium auf seiner Internetseite, die EU sei zuständig.
"Aus Kostengründen selten eingebaut"
Dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) geht das nicht schnell genug. Seit Jahren steige die Zahl der durch abbiegende Lkw getöteten Radfahrer an, heißt es in einer Mitteilung. "Laut Unfallforschung der Versicherer können Lkw-Abbiegeassistenten 60 Prozent dieser schweren Unfälle verhindern." Entsprechende Produkte seien sowohl für Neufahrzeuge als auch als Nachrüstsystem auf dem Markt. "Diese werden aber aus Kostengründen äußerst selten eingebaut." Laut ADFC liegen diese zwischen 760 und 2650 Euro.
Für Jens Ott, dem Vorsitzenden vom Nürnberger ADFC, geht der Vorstoß der Stadtrats-Fraktionen CSU und SPD in die richtige Richtung. Er hat sogar noch weitere Ideen: "Die Stadt sollte auch vorschreiben, dass Fahrzeuge, die auf ihren Baustellen fahren, einen Abbiegeassistenten haben müssen."
Positiv sei, dass große Lebensmitteldiscounter wie Aldi umdenken und ihre Lkw nachrüsten. "Es ist ja auch im Sinne der Arbeitgeber, wenn sie ihre Mitarbeiter schützen", betont Ott. Denn wer einen Verkehrsunfall mit Todesfolge provoziere, leide sein Leben lang darunter.
"Teilweise wird das in Nürnberg auch so gemacht"
Außerdem fordert der ADFC, dass Lkw beim Abbiegen nur noch Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen. Eine weitere Möglichkeit sei, Radfahrer und Rechtsabbieger an Kreuzungen versetzt fahren zu lassen: Radler haben zum Beispiel mit etwas zeitlichem Vorlauf Grün, und Lkw dürfen erst fahren, wenn die Fahrradfahrer wieder Rot haben. "Teilweise wird das in Nürnberg auch so gemacht, aber die Kreuzung wird dadurch langsamer", sagt Ott. Das gefalle Verkehrsplanern meist nicht so gut.
Weil es bereits mehrere Unfälle an der Kreuzung Fürther Straße/Maximilianstraße gab, wurde der Radweg dort zwischen die Geradeaus- und die Rechtsabbiegerspur gelegt. "Das ist besser, weil die Radler dann nicht ganz rechts außen fahren. Aber da fehlt die Akzeptanz bei den Radfahrern." Die fühlten sich zwischen zwei Streifen – und somit zwei Fahrzeugreihen – nämlich nicht wohl.
Niederlande als fahrradfreundliches Vorbild
Ott rät zu einem Blick in die Niederlande. Dort führten die Radstreifen rechts weit von der Autofahrspur entfernt vorbei. "Da vermeidet man den toten Winkel, ein weiter Schulterblick ist beim Abbiegen nicht nötig, weil man den Radfahrer vorher schon sieht", sagt der ADFC-Experte. Baulich sei so etwas auch in Nürnberg möglich. Die Ausrede, dafür sei es zu eng in der Stadt, zähle nicht, wenn Menschenleben auf dem Spiel stünden.
Derzeit sei Nürnberg noch keine besonders fahrradfreundliche Stadt. Jens Ott appelliert deshalb an Auto- und Lkw-Fahrer, den Schulterblick nicht zu vergessen und beim Abbiegen langsam zu fahren. Und die Radler? "Sie sollten versuchen, Blickkontakt mit dem Lkw-Fahrer aufzunehmen. Nur dann wissen sie, dass er sie auch wirklich gesehen hat."
Die Verwaltung der Stadt Nürnberg nimmt ab sofort nur noch Lkws mit Abbiege-Assistenten in ihren Fuhrpark auf. Zudem rüstet sie ältere Fahrzeuge mit der lebensrettenden Technik um. Das ist das Ergebnis eines Antrags der Rathaus-SPD und der CSU vom letzten Jahr. Seitdem hat die Stadtentwässerung und Umweltanalytik Nürnberg 13 Lkw umgerüstet. Der Servicebetrieb Öffentlicher Raum und der Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt Nürnberg rüsten ihre Fuhrparks in den nächsten Monaten um. Ausgenommen sind Fahrzeuge, die demnächst stillgelegt werden.
Laut Statistischem Bundesamt passiert jeder dritte Lkw-Fahrrad-Unfall, weil Fahrradfahrer beim Abbiegen im Totenwinkel des Lkw verschwinden.
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