Nürnberg setzt Zeichen für Vielfalt und Toleranz
22.3.2015, 20:39 UhrEr lebt erst seit fünf Jahren in der Stadt, doch Nürnberg ist schon seine Heimat geworden. „Ich habe hier nur positive Erfahrungen gemacht“, sagt Murat Sahin. Der 46-Jährige ist Geschäftsführer von Grundig Intermedia, er kam mit gemischten Gefühlen aus Istanbul nach Franken, weil er fürchtete, mit Vorurteilen konfrontiert zu werden. Doch das Gegenteil war der Fall. „Negative Erlebnisse hatte ich überhaupt nicht“, sagt Sahin.
Er sei überall herzlich aufgenommen worden. In Nürnberg lernte der Manager seine Frau kennen, das Paar hat mittlerweile einen kleinen Sohn. Der soll auch die Sprache seines Vaters lernen, doch eigentlich spricht Þahin längst mehr Deutsch als Türkisch. Was auch daran liegt, dass viele seiner Freunde Deutsche sind.
Bei Talip Iyi ist das ganz anders. „Leider“, wie der 42-Jährige betont. Bis heute hat er überwiegend mit den eigenen Landsleuten zu tun, obwohl er in Nürnberg aufgewachsen ist. Doch er hat keine guten Erinnerungen daran. „Ich hatte nie Kontakt zu deutschen Kindern.“ Was seiner Ansicht nach auch an den weit verbreiteten Vorurteilen gegenüber seinen Landsleuten lag.
„Die sind nicht sauber.“ „Die essen Knoblauch.“ Dem erwachsenen Mann klingen die Sätze, die er als Kind aufschnappte, bis heute im Ohr. Und er glaubt, dass sich über die Jahrzehnte hinweg wenig geändert hat. Auch seine Kinder haben nur wenige deutsche Freunde. „Wenn es dir hier nicht gefällt, geh‘ doch zurück in deine Heimat.“ Solche Bemerkungen höre er bis heute, sagt Iyi. „Ich habe mich daran gewöhnt.“ Angesichts der Pegida-Aktionen quälen ihn manchmal Zukunftsängste. Nach den NSU-Morden sei bei seinen Landsleuten auch das Vertrauen in Politik und Justiz erschüttert, sagt Iyi.
Der Angestellte versucht dennoch, die Situation zu verändern. Als Vorstand der Begegnungsstube Medina setzt er sich seit Jahren für den christlich-islamischen Dialog ein.
Auch Gülsan Boz engagiert sich für Begegnungen zwischen Christen und Muslimen. Die 51-Jährige ist vor 25 Jahren ihrem Mann nach Deutschland gefolgt. Obwohl die Lehrerin gut Deutsch sprach, fiel ihr der Start in Franken schwer. Sie habe ein sehr isoliertes Leben im Familienkreis geführt, sagt die dreifache Mutter. „Ich habe zehn Jahre lang gelitten.“ Dann beschloss sie, ihre Situation zu verändern. Sie studierte Sozialarbeit, engagierte sich ehrenamtlich — und entdeckte eine neue Stadt.
„Nürnberg ist ein Paradies für mich“, sagt sie heute. „Ich habe begriffen, dass ich die Dinge selbst in der Hand habe.“ Wer sich öffne, entdecke viele Angebote. „Hier sind viele Türen offen.“ Boz gibt heute Integrationskurse und organisiert im Begegnungszentrum „Brücke“ ein Erzählcafé für Frauen, das sich mit Kulturen aus aller Welt beschäftigt.
Drei Kurzbiografien, die zeigen, wie unterschiedlich die Erfahrungen mit Migration allein in der türkischstämmigen Bevölkerung Nürnbergs sind. Was ihnen gemeinsam ist: Sowohl Þahin als auch Iyi und Boz engagieren sich in ihrer Stadt. Alle drei haben bei der Auftaktkundgebung „Nürnberg hält zusammen“ gesprochen und unterstützen die Kampagne „Nürnberg ist bunt“.
Mit diesem Projekt will das Amt für Kultur und Freizeit Vorurteilen gegenüber kultureller Vielfalt entgegenwirken. Auf dem Programm stehen unter anderem Plakataktionen, Comic-Workshops für Jugendliche und Argumentationstrainings für Menschen, die „Botschafter der Vielfalt“ werden wollen.
Nürnberg orientiert sich dabei an einer ähnlichen Aktion im spanischen Barcelona. Mit viel Humor, Straßentheater und Kunstaktionen trat die Stadt den Vorurteilen entgegen, die vor allem den zwischen 2002 und 2007 zugewanderten Südamerikanern und Rumänen entgegenschlugen. Das Konzept war so erfolgreich, dass mittlerweile elf europäische Städte mit Unterstützung des Europarates dem Vorbild folgen. In Deutschland sind Erlangen und Nürnberg dabei.
Ziel sei es, ein „Netzwerk gegen fremdenfeindliche Vorurteile“ zu knüpfen, sagt Luis Prada vom Amt für Kultur und Freizeit. Das Projekt war lange geplant. Durch die Pegida-Demos und die Anschläge von Paris sei es aktueller denn je, so Prada.
Am spanischen Vorbild orientieren sich auch die Seminare, die Herwig Emmert von der Arbeiterwohlfahrt im Auftrag der Stadt mit einer Kollegin organisiert. Was tun, wenn an der Supermarktkasse jemand über die „immer so lauten“ Russen schimpft? Oder wenn im Bus jemand behauptet, dass „alle Polen klauen“? Soll ich mich einmischen, wie kann ich argumentieren? Das nötige Handwerkszeug wolle er vermitteln, betont der Sozialwirt. Er glaubt, dass es ein positiver Beitrag zu einem anderen Klima ist, „wenn solche Sätze nicht unwidersprochen bleiben“.
Mehr Informationen auch unter www.nuernberg-ist-bunt.de