Nürnberg: US-Panzer erreichten bei Erlenstegen die Stadt

16.4.2020, 06:33 Uhr
Hinter ihren Panzern rücken US-Infanteristen durch ein Trümmerfeld in die Nürnberger Innenstadt vor.

© NN-Archiv Hinter ihren Panzern rücken US-Infanteristen durch ein Trümmerfeld in die Nürnberger Innenstadt vor.

Der 16. April 1945 war ein Montag, "ein glockenheller, freundlicher Frühlingstag", wie der Zeitzeuge Fritz Nadler in sein Tagebuch notierte. Die Kirschbäume standen kurz vor der Blüte. Um 12.45 Uhr war es soweit: Ein fünfminütiger Heulton aus den letzten intakten Sirenen ertönte über ausgebrannten Dachstuhlgerippen, hallte durch fensterlose Hausfassaden und verkündete "Feindalarm".

Lautsprecherautos rollten durch die staubigen Straßen und forderten die Nürnberger auf, sich in die Luftschutzräume zu begeben. Die Amerikaner waren da! Panzer und Soldaten der 45. US-Infanterie-Division hatten, sich von Lauf her anpirschend, durch den Sebalder Wald bei Erlenstegen den östlichen Stadtrand erreicht. Am einstmals so beliebten Ausflugslokal "Kalbsgarten" bezogen sie Stellung.

Bereits um 10 Uhr morgens hatte an diesem Tag im improvisierten Amtszimmer des Oberbürgermeisters am Bielingplatz das Telefon geklingelt. Willy Liebel hob ab. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Amerikaner. Er forderte den Bürgermeister auf, die Stadt kampflos zu übergeben. In diesem Falle werde niemandem ein Leid geschehen.

Falls der OB dem nicht nachkomme, werde Nürnberg zusammengeschossen. Liebel legte den Hörer wortlos auf. Er konnte diesem Ultimatum auch gar nicht nachgeben. Denn erstens lag die militärische Verantwortung beim Kampfkommandanten Richard Wolf, und zweitens hätte er seine Erschießung durch ein Standgericht riskiert.

"Onkel Baldrian" sabotiert den Nero-Befehl

Als Reichsverteidigungskommissar Karl Holz von der Ankunft der Amerikaner erfuhr, ließ er sofort eine Lagemeldung an die Parteizentrale in München durchgeben und er gab Anweisung, Hitlers "Nero-Befehl" in die Tat umzusetzen. Danach sollten bei Annäherung der Alliierten an eine Stadt alle Infrastruktur-Einrichtungen wie Gaswerke, Wasserwerke, Kläranlagen, Kraftwerke, Brücken oder Fernmeldeämter gesprengt beziehungsweise unbrauchbar gemacht werden.

Über den Sender der Flak-Befehlsstelle in Schafhof sollte der in Nürnberg als "Onkel Baldrian" bekannte und beliebte Wachtmeister Arthur Schöddert das Codewort bekannt geben, um das Zerstörungswerk auszulösen. Es lautete: "Achtung, Achtung, Sonderkommando Z - Stichwort Puma." Der Wachtmeister wusste, dass eine Liste mit 61 Objekten existierte, auf der unter anderem das Wasserwerk Ranna, das Großkraftwerk Franken, das Gaswerk Fürth und die Eisenbah

Wachtmeister Arthur Schöddert gab den "Nero-Befehl" nicht weiter.

Wachtmeister Arthur Schöddert gab den "Nero-Befehl" nicht weiter. © NN-Archiv

Schöddert verzichtete auf die Durchsage und machte stattdessen die Sendeanlage kurzfristig unbrauchbar. Dem Reichsverteidigungskommissar meldete er auf Nachfrage, er habe das Stichwort zweimal in den Äther geblasen. Holz, der offenbar keine Möglichkeit hatte, die Behauptung zu überprüfen, gab sich damit zufrieden.

Am gleichen Nachmittag hatte Holz darüber hinaus angeordnet, die im Kühllager der Firma Linde gestapelten Lebensmittel an die Bevölkerung auszuteilen. Sie durften nicht in die Hände der ohnehin gut verpflegten GI's fallen. Es handelte sich um 1,75 Millionen Kilogramm gefrorenes Fleisch und 670.000 Kilogramm Butter. Die Waren sollten - nach dem Sieg über die amerikanischen Eindringlinge - mit künftig auszugebenden Lebensmittelmarken verrechnet werden.

Für viele Bewohner der Stadt bedeutete dies, endlich einmal wieder satt zu werden. Nach der radikalen Kürzung der Lebensmittelzuteilungen im März 1945 (pro Woche nur noch 1700 Gramm Brot, 250 Gramm Fleisch und 125 Gramm Fett) kamen auf jede Person nun vier Pfund Rindfleisch - das war ein Geschenk, als würde Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen.

Die aus Richtung Lauf anrückenden Einheiten der 45. US-Infanterie-Division, die Nürnberg von Südosten in die Zange nahmen, gerieten unterdessen ins Feuer der Flakbatterien Schmausenbuck, Fischbach und Laufamholz. Zudem flog die Deutsche Luftwaffe, die man längst ausgeschaltet glaubte, überraschend 15 Einsätze mit Bomben und Bordwaffen gegen die Marschkolonnen. Und in Feucht trafen die Angreifer an Straßensperren ebenfalls auf heftigen Widerstand, konnten die Verteidiger aber weiträumig umgehen.

Bis zum Abend hatten die Amerikaner die vorgesehenen Stellungen für den Angriff auf Nürnberg erreicht. Der Divisionsbericht für den 16. April meldete, man habe Flakstellungen erobert, acht Geschütze und zahlreiche Fahrzeuge zerstört sowie 2766 Kriegsgefangene eingebracht. Auf der Verlustliste dagegen standen ein Toter, 35 Verwundete und zwei Vermisste.

Straßenkampf in Heroldsberg

Die von Norden anrückenden Kompanien der 3. US-Infanterie-Division brauchten dagegen zwei Tage, um den Sperrgürtel der deutschen Flakstellungen zu durchbrechen und ihre Ausgangsstellungen am Stadtrand zu erreichen. Im Bereich Buch, Almoshof und Lohe erlitten ihre deutschen Widersacher - allesamt im Bodenkampf unerfahrene Luftwaffen-Soldaten und Flak-Männer des Reichsarbeitsdienstes - hohe Verluste. Landwirte aus Almoshof brachten über 20 Tote auf den Friedhof.

Auch in Kalchreuth und Heroldsberg wurde heftig gekämpft. Während die amerikanische Artillerie die meisten Flak-Mannschaften in die Flucht jagte, zwangen Angehörige der Waffen-SS in Heroldsberg die Amerikaner in einen einstündigen, gnadenlosen Straßenkampf. 27 Häuser und Scheunen waren am Ende zerstört, der Kirchturm hatte einige Treffer abbekommen, auf den Wegen standen ausgebrannte Fahrzeuge, lagen weggeworfene Waffen und tote deutsche Soldaten.

35 Angehörige der Waffen-SS und fast die gesamte Flak-Batterie mit 115 Mann und drei Offizieren gerieten in Gefangenschaft. Nach glaubhaften Augenzeugenberichten hatten die GI's dabei zu Mitteln gegriffen, die sicherlich nicht der Genfer Konvention entsprachen: Sie hatten deutsche Soldaten und Zivilisten als Kugelfang vor den langsam fahrenden und feuernden Panzern herlaufen lassen.

Karl Holz, der in seinem Nürnberger Befehlsstand über die Fortschritte der US-Streitkräfte bestens informiert war, zeigte sich mit den Leistungen der Flak äußerst unzufrieden und warf den Mannschaften Versagen vor. Dabei ignorierte er geflissentlich, dass er es mit meist unerfahrenen jungen Männern zu tun hatte und es wegen fehlender Nachrichtenverbindungen keine Zusammenarbeit zwischen den Geschütz-Mannschaften sowie den im Einsatz befindlichen Infanterie-Einheiten gab.

Außerdem lag es dem Fanatiker fern, auch nur das Einfachste, weil Menschlichste mit ins Kalkül zu ziehen - in dieser Endphase wollte der größte Teil der Flak-Offiziere sich selbst und auch seine Leute schonen: Eine rasche Räumung der Batterien war einem Duell mit amerikanischer Artillerie oder dem Beschuss durch Jagdflieger allemal vorzuziehen.

An den Kämpfen im Stadtnorden Nürnbergs nahm im übrigen ein Amerikaner teil, der es später als Filmschauspieler, Songwriter und Autor zu einer gewissen Berühmtheit brachte: der Texaner Audie Murphy (1925-1971). Er gehörte dem 15. Infanterie-Regiment der 3. US-Division an und war mit 33 Tapferkeitsauszeichnungen (darunter die Medal of Honor) der höchstdekorierte GI des Zweiten Weltkriegs.

Über seine Erlebnisse in der Armee schrieb er das Buch "To Hell and Back", das in den Vereinigten Staaten ein Bestseller und mit ihm selbst auch verfilmt wurde. Der damals 20-jährige Murphy schied im September 1945 aus dem aktiven Dienst aus. Wäre er nicht durch einen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, so meinte einer seiner früheren Kameraden, hätte er wohl das Talent gehabt, ein zweiter John Wayne oder Errol Flynn zu werden.


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