Nürnbergs Henker und ihre Opfer
13.10.2011, 00:00 UhrBevor wir die Orte des Geschehens besuchen, nehmen wir einen Einblick in die damalige „Rechtsprechung.“ Am 25. März 1371 hat Kaiser Karl IV. „den Bürgermeistern und Bürgern (...) diese Macht gegeben: wann schädlich Leut bei ihnen begriffen werden, und der mehrer Teil des Rates erkennt, dass man ihn martern soll und des Reiches Richter nit sein wollte, und des daß ein Bürgermeister dabei sein mag, und dem hat er den Bann dazu verliehen.“
Die hohe Gerichtsbarkeit über die Stadt stand ursprünglich dem König zu und wurde vom Reichsschultheiß ausgeübt. Die Bürgerschaft konnte zunächst nur Selbstverwaltungsrechte ausüben, was sie bald in einem mit städtischen „Polizeistrafen“ machtvoll geschützten Marktfriedensbezirk umsetzte. Ziel der Stadt war die vollständige Übernahme des Schultheißenamtes, und dies erkämpfte (bzw. erkaufte) sie sich eine Vielzahl kaiserlicher Privilegien.
Mit dem endgültigen Erwerb des Reichsschultheißenamtes 1427 und dem Verbot der Anrufung auswärtiger Gerichte 1460 war dieses Ziel erreicht. Somit besaß der Rat der Reichsstadt nach Übertragung des Blutbanns das Recht, über Leben und Tod zu richten. Keine Verteidigung hemmte den Ablauf eines Gerichtsverfahrens. Als Eingriff in Leib und Ehre gehörte die Folter zum Blutbann, und Nürnberg war 1371 eine der ersten Städte, der das Folterrecht verliehen wurde. Weniger schwere Fälle (insbesondere Unzucht, liederlicher Lebenswandel, einfacher Diebstahl u. ä.) kamen vor die Niedergerichtsbarkeit. Kleinere Vergehen, Schmäh- und Schlaghändel, die mit Haft- oder Geldstrafen geahndet wurden, kamen vor das Hader- oder Fünfergericht.
Beginnen wir unseren Spaziergang am alten Rathaus mit dem darunter liegenden Lochgefängnis! Das Loch war im heutigen Sinn keine Justizvollzugsanstalt, sondern Untersuchungs- und Polizeigefängnis mit 17 Zellen. Zusätzlich gab es Funktionsräume für die Folterungen (genannt Kapelle) sowie für den Lochwirt und die Lochwirtin. Der Aufenthalt in den stinkenden dunklen Zellen allein war schon entehrend und kaum einer kam je ohne Bezahlung des Lochschillings – einer Tracht Prügel – wieder heraus. Landschädliche Leute wurden auch ohne Tatverdacht hineingeworfen. Für Stadtbürger war das Loch ultima ratio: Als Haftanstalt wurden Luginsland, Fünfeck- , Wasser- und der heute verschwundene Fröschturm (mit versperrtem Kämmerlein, das heißt Einzelzelle als Verschärfung) bevorzugt.
Der am 23. Dezember 1605 wegen Meineid, Unterschlagung, Ehebruch und Blutschande mit dem Schwert gerichtete Ratskonsolent Nikolas von Gülchen war zunächst auf Grund einer Privatklage vom 9. April 1605 in den Luginsland geführt worden. Erst nachdem sieben Verhöre die Verdachtsmomente erhärtet hatten, wurde er ins Lochgefängnis verbracht, wo er dann nach weiteren drei Verhören und neunmaliger Anwendung der Tortur gestand. Auch der begnadete Bildhauer Veit Stoß wurde am 5. Dezember 1503 wegen Urkundenfälschung gebrandmarkt. 1506 drohte er in einer Zivilstreitsache mit der Anrufung des Reichskammergerichts als oberstem Richter. Daraufhin ließ ihn der Rat sofort ins Lochgefängnis werfen, und Veit Stoß gab schnell klein bei.
Lebenslange Turmeinschließung kam zuweilen als besondere Gnade für patrizische Delinquenten in Betracht. Den des Geheimnisverrats und der Bestechlichkeit überführten Zweiten Losunger Anton I. Tetzel hielt der Rat aus Gnade zunächst im Luginsland und dann im Fünfeckturm bis zu seinem Tod am 27. Januar 1518 gefangen. Noch grausamer traf es Hans Stromer: Weil er einen Edelmann erstochen hatte, wurde er 1554 zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe im Schuldturm verurteilt, deren 38-jährige Dauer durch immensen Bratwurstkonsum legendär geworden ist.
Wie erfolgte nun die Rechtsprechung in damaliger Zeit?
Der Kläger zeigte den Fall in der Regel bei den Schöffen an, die das Verfahren eröffneten und den Fall geheim untersuchten. Der Vorgang wurde dann den Ratskonsolenten (Juristen) vorgelegt, wobei sich deren Rolle auf die Beratung beschränkte. Herr des Verfahrens blieb der Rat, der in seinen Sitzungen (ohne die Juristen) alle wesentlichen Verfahrensschritte bestimmte – einschließlich der Verbringung ins Loch und der Anwendung der Folter.
Bei der Folter waren 13 von Wahlherren ausgesuchte Schöffen anwesend. Wichtigster Akteur bei der Tortur in der hellerleuchteten Kapelle war neben dem weiß gekleideten Inquisiten, den beiden Lochschöffen und dem Lochschreiber der Nachrichter (Henker). Er hatte darauf zu achten, dass der Delinquent durch die Folter nicht zu Schaden kam und das Verfahren fortgesetzt werden konnte. Das mag einer der Gründe gewesen sein, dass der Rat nach den wilden Gesellen der frühen Zeit später großen Wert auf Meister ihres Faches legte.
Damit sind wir beim berühmtesten aller deutschen Scharfrichter: Franz Schmidt. Obwohl sein Beruf als unehrlich galt, war er in der Stadtgesellschaft fast so angesehen wie gefürchtet. Franz Schmidtbegann sein Handwerk im Jahr 1578 in Nürnberg. Seine Dienstwohnung befand sich am Henkersteg im Teil der vorletzten Stadtmauer. In seiner fast 40-jährigen Amtszeit in der Reichsstadt listete er in seinem akribisch geführten Diensttagebuch 361 Exekutionen und 345 Leibstrafen (brandmarken, auspeitschen, blenden, Gliedmaßen abhacken etc.) auf.
Außerdem fielen Ehrenstrafen in seinen Tätigkeitsbereich. Diese Rechtsbrecher stellte er an den Pranger am Hauptmarkt, vor dem Rathaus und auf der Fleischbrücke. Er legte sie in Ketten oder setzte ihnen die Schandmaske auf.
Richtstätten befanden sich außerhalb der Stadtmauer: Gehängt und gerädert wurde in Galgenhof, in Flaschenhof wurde „bei den Holzstößen“ geköpft und verbrannt. Frauen wurden bei den Hallerwiesen ertränkt. Kindsmörderinnen waren die ärmsten Opfer des reichsstädtischen Strafens. Wegen von liederlichen Weibspersonen ohne hinreichenden Tatverdacht erfolterten Geständnissen dürfte es auch zu Justizmorden gekommen sein. Die Hinrichtung einer angeblichen Mörderin und deren Gehilfin am 4. August 1716 wurde als Tötung von Unschuldigen öffentlich diskutiert.
Die einzige Hinrichtungsart, die eine christliche Bestattung zuließ, war die Enthauptung mit dem Schwert. Mörder wurden meist gerädert, neben dem Verbrennen wohl die grausamste Strafe. Für die Bevölkerung waren diese Hinrichtungen, da sie öffentlich geschahen, das „Event“ schlechthin. Schmidt beherrschte sein Handwerk so perfekt, dass er schnell als „Meister Franz“ bekannt wurde. Nach seiner Pensionierung und Ehrlichsprechung 1617 machte „Meister Franz“ in der Oberen Wörthstraße 10 eine Wundarztpraxis auf. Genügend Gelegenheit, den menschlichen Körper zu studieren, hatte er ja in seinen langen Dienstjahren gehabt. Er starb 1634 und ist auf dem Rochusfriedhof begraben.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen