Das Wahrzeichen in historischen Fotos

Nürnbergs Kaiserburg: Mittelalterlich nur noch dem Anschein nach

Sebastian Gulden

1.2.2022, 08:05 Uhr
Fünfeckturm, Kaiserstallung und Luginsland (r.) in einer frühen Fotografie von 1865. Im Hintergrund bestand Nürnberg zu dieser Zeit noch aus Wiesen und Äckern.  

© Christian König Fünfeckturm, Kaiserstallung und Luginsland (r.) in einer frühen Fotografie von 1865. Im Hintergrund bestand Nürnberg zu dieser Zeit noch aus Wiesen und Äckern.  

Sieben Jahre ist es her, da ich an einem Winternachmittag im Februar mit der Kamera den Sinwellturm hinaufeilte, um einem Ausblick aus der Zeit um 1865 ein aktuelles Gegenstück gegenüberstellen zu können.

Ließ Fotografenherzen schon vor einem Jahrhundert höher schlagen: Ein Zeppelin über der Kaiserburg im Jahr 1909. Dahinter ist die Großstadt stark gewachsen.  

Ließ Fotografenherzen schon vor einem Jahrhundert höher schlagen: Ein Zeppelin über der Kaiserburg im Jahr 1909. Dahinter ist die Großstadt stark gewachsen.   © Georg Geier & Garke (Sammlung Sebastian Gulden)

2015 haben Boris Leuthold, Stefan Schwach und ich das Projekt "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" ins Leben gerufen, um den Nürnbergerinnen und Nürnbergern und den Freunden unserer Heimatstadt zu zeigen, wie sich Nürnberg über die Jahre und Jahrhunderte verändert hat und Sie, liebe Leserinnen und Leser, für den Fall zu wappnen, dass Ihnen jemand betreffs "Stadtbild" die Geschichte vom Pferd erzählen will. Der Ausblick vom Sinwellturm auf die Stadt wurde zum Logo unserer Unternehmung.

Das jüngste Foto in unserer heutigen Serie verdanken wir Michael Metzner, einem Freund unseres Projekts, dessen Internetseite www.baukunst-nuernberg.de uns von Beginn an Inspiration und Wissensquell zur Nürnberger Baugeschichte war und noch immer ist. Seine Aufnahme, die so wunderbar zur winterlichen Jahreszeit passt, ist mit dem Aufnahmejahr 2003 selbst schon wieder historisch. Obschon unser Bildvergleich anderes vermuten lässt, führen die Kaiserstallung, der Fünfeckige Turm und der Luginsland auf drastische Weise die historischen Zäsuren vor Augen, die den Wandel des Nürnberger Stadtbildes ausmachen.

Zum Spaß ein Foltermuseum

So traut die drei Bauteile zusammenstehen, tatsächlich waren sie zeitweise Diener zweier Herren: Der Fünfeckige Turm im Westen stammt wohl noch aus dem Hochmittelalter und war bis zum Verkauf an die Stadt 1427 im Besitz der Nürnberger Burggrafen. Im 19. Jahrhundert inszenierte man seine düsteren Gemäuer ohne wissenschaftliche Grundlage als Foltermuseum, in dem unter anderem die berühmte Eiserne Jungfrau ausgestellt war.

1945 waren nur der Fünfeckige Turm und zwei Fassadenreste der Kaiserstallung erhalten. Die Burg war bei den Altstadt-Luftangriffen vom 2. Januar schwer zerstört worden.  

1945 waren nur der Fünfeckige Turm und zwei Fassadenreste der Kaiserstallung erhalten. Die Burg war bei den Altstadt-Luftangriffen vom 2. Januar schwer zerstört worden.   © unbekannt, Stadtarchiv Nürnberg, Nr. 43335

Der 1377 erbaute Luginsland im Osten dagegen war stets Eigentum der Reichsstadt und diente – wie sein Name sagt – zunächst der Überwachung des Umlandes, später dann als Gefängnis. Zu dessen berühmtesten Insassen zählten Kaspar Hauser (1828) und der "Bratwurst-Stromer" (eigentlich Hans Stromer), der in seinen 38 Jahren Haft 28 000 Bratwürste verdrückt haben soll. 1592 hat er sich dann vom Luginsland in den Freitod gestürzt. Als dritten Bau im Bunde errichtete Stadtbaumeister Hans Beheim der Ältere zwischen den beiden Türmen 1494/1495 schließlich die Kaiserstallung, die – hier gilt ebenfalls "nomen est omen" – als Stall, aber auch als ein Getreidespeicher fungierte.

Der fatale 2. Januar 1945

Original mittelalterlich ist von dem, was Sie auf den Fotos von 1960 und 2003 sehen, fast nichts mehr. Am 2. Januar 1945 erlitt die Gebäudegruppe derart gravierende Schäden durch britische Luftminen, Brand- und Sprengbomben, dass, nachdem die Feuer erloschen waren, nur noch ein paar verkohlte Mauerstümpfe aus dem Trümmermeer herausragten. Bis 1955 erstand das Ensemble fast gänzlich neu, um fortan als Stadtjugendhaus zu dienen.

Dass das Ensemble – hier in einer Aufnahme von 1960 – wiedererstehen konnte, zeigt die erstaunliche Leistung des Wiederaufbaus, die auch in den dahinterliegenden Wohnvierteln zu sehen ist.  

Dass das Ensemble – hier in einer Aufnahme von 1960 – wiedererstehen konnte, zeigt die erstaunliche Leistung des Wiederaufbaus, die auch in den dahinterliegenden Wohnvierteln zu sehen ist.   © Fritz Lauterbach

Die "Reichsjugendherberge"

Die Geschichte des Wiederaufbaus offenbart die Kontinuität der Architektenkarrieren zwischen NS- und Nachkriegszeit: Ihr Planer Julius Lincke hatte nämlich schon 1936/1937 die Kaiserstallung zur "Reichsjugendherberge" umgestaltet. Diese Neufassung stand ganz im Zeichen eines ideologisch instrumentalisierten, ja pervertierten Mittelalterbildes, das die Nazis der "Stadt der Reichsparteitage" überstülpen wollten. In ihren Grundzügen folgte der Wiederaufbau denn auch den Entwürfen der 1930er Jahre – freilich ohne die "hagelbucherne" Zirbelstube für Reichsjugendführer Baldur von Schirach.


Ein neues Jahrbuch der Serie zu den Ausgaben des Jahres 2018 ist über www.aroncella.de zu beziehen.


Wie so oft ist nicht nur der Vordergrund unserer Ansicht spannend, auch der Hintergrund: Die Fotos zeigen nämlich, wie sich Nürnberg ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Norden ausbreitete. An Stelle der Wiesen, Äcker und kleinen Ansiedlungen, die die Gärten hinter der Veste, das Maxfeld und den Rennweg um 1865 bestimmten, erstreckten sich 1909 großstädtische Wohn- und Geschäftsquartiere. Die Bombenkatastrophe schlug auch hier Schneisen der Verwüstung, die die Nachkriegszeit Zug um Zug zu heilen versuchte – mal erfolgreicher, mal weniger.

Die nicht gerade maßstabsgerechte Bebauung mit Zeilen von Wohnblocks am Vestner- und Maxtorgraben auf den letzten Bildern der Folge steht dabei im krassen Kontrast zu den kleinteiligen Neubauten innerhalb der Altstadtmauern aus den 1950er Jahren, wie man sie an der Oberen Söldnersgasse rechts des Luginsland erblickt.

Dieselbe Ansicht, vom Sinwellturm aus aufgenommen, im Jahr 2003. Der Bildervergleich machte den Anfang für das ehrenamtliche Projekt unserer Autoren von "Nürnberg – Stadtbild im Wandel".  

Dieselbe Ansicht, vom Sinwellturm aus aufgenommen, im Jahr 2003. Der Bildervergleich machte den Anfang für das ehrenamtliche Projekt unserer Autoren von "Nürnberg – Stadtbild im Wandel".   © Michael Metzner

Die dortigen Häuser griffen Maße und Traufrichtung ihrer Vorgänger auf. Hochwertige Kunst am Bau wie Sgraffiti und Fliesenmosaike wiesen inhaltlich in die Vergangenheit, formal aber in eine bessere Zukunft. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen. Sicher ist dafür Raum in einer weiteren Geschichte von "Nürnberg – Stadtbild im Wandel". Der Spaß ist uns jedenfalls nicht vergangen, und wir hoffen, Ihnen auch nicht.

Liebe Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: nz-themen@pressenetz.de

Noch viel mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" mit spannenden Ansichten der Stadt und Hintergründen finden Sie unter www.nuernberg-und-so.de/thema/ stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel

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