Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke
08.12.2011, 19:19 Uhr![Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.1715970:1494743204/1320293361.jpg?f=16%3A9&h=816&m=FIT&w=1680&$p$f$h$m$w=0fd0de7)
Eine vorweihnachtliche Begegnung mit dem Nikolaus? Weit gefehlt. Der bemützte Herr zeigt beim Lächeln noch genau vier Zähne, seine Finger sind gefärbt von den Selbstgedrehten, und die Füße stecken in dicken, altmodischen Pelzschuhen. Die braucht er auch, denn da, wo er sich die meiste Zeit seiner Tage aufhält, ist es bitterkalt.
Der Herr heißt Jimmy, und Jimmy ist einer von fünf Männern, die gewählt haben. Ein Leben auf der Straße. Ein Leben unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke, unweit der Wöhrder Wiese. Hier ist im Laufe des Sommers unter Duldung der Stadt ein Lager entstanden, das man beinahe als gemütlich bezeichnen kann. Könnte. Wenn es nicht so bitterkalt wäre. Und der Winter geht erst los. „Klar ist es kalt, aber wir sind schon so lange auf der Straße, dass wir das einfach gewohnt sind. Warme Klamotten, Schlafsäcke, Decken – dann ist das kein Problem“, sagt Norbert und drückt Hündin Mutzi an sich, das Maskottchen der Truppe.
![Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.1715971:1494743214/3648406029.jpg?f=4%3A3&h=450&m=FIT&w=600&$p$f$h$m$w=e78a980)
Rund 1400 Personen gelten in Nürnberg derzeit als obdachlos. Die leben jedoch nicht alle auf der Straße, die meisten wohnen in verschiedenen Unterkünften, die beispielsweise von der Stadt angemietet werden. Nur circa 50 Menschen leben dauerhaft auf der Straße. Mindestens zwei davon unter eben jener Brücke. „Ich müsste hier nicht sein“, erzählt der 64-jährige Jimmy. „Ich habe von der Arge in der Innenstadt eine Behausung gestellt bekommen. Aber waren Sie schon mal in einer Gefängniszelle? So ist es dort. Was soll ich da? Hier sind meine Freunde, und ich habe Platz. Ich bin viel lieber hier.“
Unter der Brücke wird täglich gefegt
Gibt es keine Probleme mit den Passanten? „Ach was! Die sind alle ganz nett, und wir tun ja niemandem was. Die Leute kommen zu uns, bringen uns Sachen und unterhalten sich mit uns. Betteln oder irgendwie Ärger machen, sowas gibt’s bei uns nicht.“ Stimmt. Sowohl Polizeisprecher Peter Schnellinger als auch Christine Schüßler, Leiterin des Bürgermeisteramtes, bestätigen: „Uns liegen keinerlei Beschwerden über diese Gruppe vor.“ Das sollte auch so bleiben, denn die Auflagen der Stadt bzw. von Sör lauten: kein Ärger, kein Krawall, kein Dreck.
Und so wird brav täglich gekehrt, die Betten sind gemacht, alles aufgeräumt. Ihre „Einrichtung“ haben die Brückenbewohner komplett geschenkt bekommen. Und tatsächlich: Während eines der Gespräche kommt eine adrette Dame vorbeigeradelt, hält kurz, um zu fragen, ob man Verwendung für ein Kissen habe. Ein Herr bringt auf dem Weg nach Hause Getränke. Was nicht heißt, dass alles Gebrachte sinnvoll ist: „Einmal hat uns einer eine Tüte mit Klamotten hergestellt. Da waren Damenunterhosen und BHs drin.“
![Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke Obdachlose unter der Franz-Josef-Strauß-Brücke](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.1715972:1494743221/2664839389.jpg?f=4%3A3&h=450&m=FIT&w=600&$p$f$h$m$w=cc52905)
Der Großteil kommt ausschließlich zum Schlafen her. Tagsüber hält man sich vorzugsweise in der Wärmestube auf. Nürnberg bietet zahlreiche Einrichtungen für Obdachlose und arme Menschen. Allein der Caritas Verband stellt 15 Anlaufstellen, von Straßenambulanz über Notschlafstellen bis hin zur Kleiderkammer. Dazu kommen Angebote wie die der Maria-Ward-Schwestern Congregatio Jesu. Die Schülerinnen bekommen hier täglich ihr Mittagessen, und nebenan in einem Extra-Raum jeder andere, der darum bittet. Wieso und warum wird nicht gefragt.
„Es erschüttert mich, zu sehen, welche Kreise die Verarmung heutzutage zieht“, sagt Schwester Judith, die Oberin. „Rentnerpaare sitzen hier genau so wie Jugendliche. Hier wird niemand abgewiesen.“ Diese Menschen sind jedoch wohl eher unfreiwillig in die Armut gerutscht. Wieso also freiwillig auf der Straße leben? „Freiheit“, sagt Jimmy, ehemals gelernter Kunst- und Bauschlosser. „Ich hatte keine Lust mehr auf Einengungen und Zwänge. Es gibt Menschen, die haben das schönste Zuhause und sind trotzdem eingeengt.“
Klingt ja prima, oder? „Einfach ist es auch nicht“, wirft Norbert, der ebenfalls gelernter Schlosser ist, ein. „Aber jeder Mensch soll so leben, wie er es für richtig hält“. Und wenn das bedeutet, mit nicht mal 40 Euro Obdachlosenhilfe in der Woche auszukommen, dann arrangiert man sich eben damit. Arrangiert haben sich die Nürnberger allemal mit ihren „WöWi-Pennern“. Ganz nach dem Motto: Leben und leben lassen.
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